Prof. Dr. Klaus Fichter: „Grüne Startups erwirtschaften sowohl eine ökologische als auch eine ökonomische Dividende.“

Die Klimakrise katapultiert grüne Startups in die Öffentlichkeit. Mit spektakulären Finanzierungsrunden, innovativen Materialien oder neuartigen Technologien machen sie Weltverbesserung zum profitablen Geschäftsmodell. Doch wie genau treiben sie die Transformation der Wirtschaft voran? Wir haben bei Prof. Dr. Klaus Fichter nachgefragt. Der Innovationsforscher ist Gründer und Leiter des Borderstep Instituts für Innovation und Nachhaltigkeit gGmbH.

Econeers: Erst einmal ganz allgemein gefragt: Welche Rolle spielen grüne Startups für die klimaneutrale Transformation unserer Wirtschaft und den ökologischen Wandel?

Prof. Dr. Klaus Fichter: Bis 2045 soll Deutschland laut Klimaschutzgesetz Treibhausgasneutralität erreichen. Dies erfordert einen gesamtgesellschaftlichen Prozess, in dem auch unternehmerische Ansätze durch etablierte sowie neue Unternehmen eine wichtige Rolle spielen. Als junge wirkungsorientierte Wachstumsunternehmen nehmen grüne Startups hier eine besondere Rolle ein. Sie verbinden die Entwicklung innovativer Ideen und Geschäftsmodelle mit ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitszielsetzungen. Damit erwirtschaften sie eine doppelte Dividende: Zum einen die wirtschaftliche Dividende, zum anderen eine ökologische und soziale Dividende. Ihre Agilität und ihr großer Transformationsanspruch sind wesentliche Hebel, um nachhaltige Produkte und Dienstleistungen schnell in die Praxis zu bringen. Genau diese Dynamik und dieses Tempo brauchen wir, um die gesetzten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und Lösungen für Herausforderungen wie Klimawandel, Verlust der biologischen Vielfalt und Wasserknappheit zu finden.

Econeers: Das Thema Nachhaltigkeit steht bereits bei der großen Mehrheit der Startups auf der Agenda, aber nur wenige von ihnen sind hier schon mit konkreten Maßnahmen aktiv. Woran liegt das und wo genau befinden sich Hürden und Schwierigkeiten, Nachhaltigkeitsmaßnahmen auch tatsächlich umzusetzen?

Prof. Dr. Klaus Fichter: Mit dem Green Startup Monitor vermessen wir gemeinsam mit dem Bundesverband Deutsche Startups e.V. seit Jahren die grüne Startup-Szene in Deutschland. Die aktuelle Ausgabe zeigt, dass der Anteil der grünen Startups auf 35 % aller Startups in Deutschland angestiegen ist. Aber was ist mit den anderen zwei Dritteln der innovativen Startups? In Anbetracht aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen und staatlicher Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen und Finanzinstitutionen wird es immer wichtiger, Nachhaltigkeit bei allen Gründungen mitzudenken. Wer fit für die Anforderungen des Marktes sein möchte, sollte sich bereits in der Planungsphase Gedanken machen, welchen Nachhaltigkeitsbeitrag er leisten kann und welche Aspekte dazu berücksichtigt werden müssen. Wer hier noch nicht mitdenkt, wird spätestens dann Probleme bekommen, wenn potenzielle Investierende oder auch Kundinnen und Kunden nachfragen. Hier hat sich in den letzten drei bis vier Jahren einiges getan, nicht zuletzt durch politische Vorgaben und Regulierungen. Auch das Förder- und Unterstützungssystem verankert mittlerweile mehr auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit zugeschnittene Angebote und Formate für Gründerinnen und Gründer.

Econeers: Wo und von wem können grüne Startups in der Ausführung konkreter Nachhaltigkeitsmaßnahmen unterstützt werden?

Prof. Dr. Klaus Fichter: Ein öffentliches Gründungsförderprogramm, das ich exemplarisch hervorheben möchte, ist das Green-Start-up-Programm der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Es ist das erste Förderprogramm seiner Art in Deutschland, das auf nationaler Ebene nachhaltigkeitsorientierte Startups unterstützt. Es fördert diese Gründungen sowohl mit finanziellen als auch nicht-finanziellen Mitteln wie Beratung und Vernetzung. Ein Vorzeige-Förderprogramm auf regionaler Ebene ist zum Beispiel der Smart Green Accelerator am Gründungszentrum Grünhof in Freiburg, Baden-Württemberg. Der Landesaccelerator unterstützt frühphasige GreenTech- und Impact-Startups mit Beratung, dem Aufbau von Industriekooperationen und Zugang zu Finanzierung, um beim erfolgreichen Markteintritt zu unterstützen. Hilfe bieten auch Online-Angebote wie die Gründerplattform. Hier stellt das Borderstep Institut eine umfassende Übersicht mit Förder- und Unterstützungsangeboten zur Verfügung.

Außerdem ist auch auf die Gründungsförderung an Hochschulen hinzuweisen. Diese ist in den letzten Jahren stark ausgebaut worden. Zwar besteht bei den Angeboten mit Nachhaltigkeitsbezug noch Entwicklungsbedarf, doch es gibt bereits wegweisende Gründungsservices, die Nachhaltigkeit systematisch in ihren Angeboten verankert haben. Dazu gehören zum Beispiel das Green Entrepreneurship Center an der Hochschule Flensburg, das Entrepreneurship und Social Change Hub an der Leuphana Universität Lüneburg oder die Social Entrepreneurship Academy als Netzwerkorganisation der vier Münchner Hochschulen und deren Gründungszentren. Weitere wegweisende Programme kann man auch in der Veröffentlichung Nachhaltigkeit in der Hochschul-Gründungsförderung finden.

Econeers: Eine große Herausforderung stellt die Messung von Nachhaltigkeitswirkungen dar: Nur eine kleine Anzahl grüner Startups kann ihre potenzielle und tatsächliche Wirkung aktuell mit Daten und Fakten belegen. Wie genau lässt sich Nachhaltigkeit messen und welche Kriterien stehen dabei im Fokus?

Prof. Dr. Klaus Fichter: Die aktuelle Ausgabe des Green Startup Monitor zeigt, dass die Nachhaltigkeitswirkung für immer mehr Startups ein zentrales Thema ist. Mehr als 80% der befragten Startups haben eine grobe Idee der ökologischen und sozialen Wirkungen ihrer Produkte und Dienstleistungen. Allerdings können erst 15% der Startups ihre Wirkung mit Daten und Fakten belegen. Vor allem für junge Wachstumsunternehmen stellt die Wirkungsmessung eine Herausforderung dar, da sie noch am Anfang stehen und keine Unternehmensgeschichte haben. Somit können noch keine Nachweise für in der Vergangenheit geleistete Beiträge, zum Beispiel zu Umwelt- und Klimaschutz, erbracht werden. Der Fokus verschiebt sich bei der Wirkungsmessung stattdessen auf die Bewertung des Potenzials für die Zukunft. So werden bei der Nachhaltigkeitsbewertung schwerpunktmäßig die Produkte und Dienstleistungen des Startups betrachtet, da diese die zentrale unternehmerische Leistung darstellen. Auch das Gründungsteam stellt ein wichtiges Bewertungskriterium dar. Diese und weitere Bewertungskriterien können auch dem DIN SPEC 90051-1 Standard zur Nachhaltigkeitsbewertung von Start-ups sowie dem dazugehörigen Praxistool entnommen werden, die das Borderstep Institut in Zusammenarbeit mit einem breit aufgestellten Konsortium erarbeitet hat. Mit dem auf dem Standard basierenden Angeboten des Borderstep-Spin-offs ImpactNexus können Startups anhand der Kernbewertungskriterien niedrigschwellig ein Impact-Assessment durchlaufen.

Econeers: Was braucht es Ihrer Meinung nach, um nachhaltiges Handeln zukünftig einfacher belegen und nachweisen zu können?

Prof. Dr. Klaus Fichter: In Sachen Impact-Management und Berichterstattung gibt es einen klaren Qualifizierungs- und Unterstützungsbedarf. Hier muss das Startup-Unterstützungssystem aktiv werden und entsprechende Inhalte in ihre Förderprogramme und -services aufnehmen und Schwerpunkte zum Thema Impact-Monitoring und -Management setzen. Wie setze ich erste Wirkungsziele? Welche Analysemaßnahmen können wir als Startup zu Anfang mit wenig Aufwand einführen? Wie lässt sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Indikatoren abschätzen, um eine erste Auswahl zu treffen? In welcher Form stellen wir Auswertungsergebnisse dar? Welche Entwicklungsziele setzen wir für unsere Prozesse des Wirkungsmanagements? Es gilt also, die Wirkungskompetenz der Startups zu erweitern. Das bedeutet neben Aspekten der Handlungsbereitschaft in Sachen Nachhaltigkeit gezielt die Handlungsfähigkeit, also das Wissen und die Fähigkeiten, zu fördern. Für Förderprogramme bedeutet dies auch, Wirkungsorientierung und Wirkungsmanagementansätze im eigenen Förderprogramm zu verankern.

Außerdem braucht es praxistaugliche Tools zur Erfassung potenzieller als auch tatsächlicher Nachhaltigkeitswirkungen. Hier ist bereits vieles in Bewegung. Das Startup ImpactNexus beispielsweise – ein Spin-Off des Borderstep Instituts – entwickelt KI-gestützte Softwarelösungen zur Bewertung, zum Management und Reporting der Nachhaltigkeitswirkungen von Startups, deren Investierende und Partner. Damit wird der Einstieg ins Thema Impact-Management erleichtert. Im nächsten Schritt ist es wichtig, dass wir die entwickelten Lösungen und Tools effektiv bündeln, um Synergien zwischen den Akteuren zu entwickeln.

Econeers: Knapp die Hälfte der grünen Startups (46 %) sehen beim Thema Kapitalbeschaffung eine zentrale Hürde. Sie erhalten seltener als nicht-grüne Startups externes Kapital und stehen ständig vor finanziellen Herausforderungen. Wo sehen Sie die Gründe für die Schwierigkeiten in der Kapitalbeschaffung grüner Startups?

Prof. Dr. Klaus Fichter: Für die Finanzierung ist es besonders wichtig zu zeigen, dass grüne Startups auch gewinnorientiert sind. Bisher hält sich das Vorurteil, dass diese Unternehmen die Welt verbessern wollen – und das ohne wirtschaftlich tragbare Geschäftsmodelle. Doch das ist eine Fehlannahme. Grüne Startups erwirtschaften sowohl eine ökologische als auch eine ökonomische Dividende. Unser Green Startup Monitor als Langzeitstudie zeigt, dass die meisten grünen Startups auch an Rendite interessiert sind, aber gekoppelt mit dem Ziel eines nachhaltigen Impacts. Immer mehr Investorinnen und Investoren erkennen die Vorteile einer Green Economy. Es gibt bereits grüne Einhörner – also Startup-Unternehmen mit einer Bewertung von über einer Milliarde Euro. Tendenz steigend.

Econeers: In welcher Form können vielleicht auch Einzelpersonen einen (finanziellen) Beitrag leisten und grüne Startups unterstützen?

Prof. Dr. Klaus Fichter: Unsere Studien zeigen, dass grüne Startups häufiger auf staatliche Fördermittel zurückgreifen. Die Finanzierung durch Einzelpersonen stellt jedoch auch eine Finanzierungsmöglichkeit dar. Zum einen kann Geld durch Business Angels eingesammelt werden. Aktuell nutzen 29% der grünen Startups durch Business Angels bereitgestelltes Kapital. Hier handelt es sich um Privatinvestierende, die frühphasigen Startups Risikokapital aus ihrem Privatvermögen zur Verfügung stellen. Oftmals profitieren die jungen Startups auch vom branchenspezifischen Expertenwissen und von den Netzwerken der Business Angels. Zugang zu diesen finden Startups über das Business Angels Netzwerk Deutschland e.V. und die regionalen Business Angel-Netzwerke.

Eine weitere Möglichkeit der Finanzierung durch Einzelpersonen stellt die Finanzierung durch die Crowd dar. Mittels spezialisierter Online-Plattformen können eine Vielzahl von Menschen eine Finanzierungshilfe zur Verfügung stellen. Beim klassischen Crowdfunding erhalten diese für ihre Unterstützung meist eine nicht-finanzielle Gegenleistung. Beim Crowdinvesting hingegen beteiligen sich Investierende mit der Erwartung, einen Anteil am Gewinn oder Unternehmenswert zu erhalten.

Econeers: Der Anteil an Gründerinnen ist bei grünen Startups höher als bei nicht grünen Startups – woran denken Sie liegt das?

Prof. Dr. Klaus Fichter: Der Gründerinnenanteil ist in den letzten Jahren zwar leicht angestiegen, Frauen sind im deutschen Gründungsgeschehen aber nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Bei nicht-grünen Startups ist der Anteil von Startup-Gründerinnen seit 2018 von 14% auf 18%, bei grünen Start-ups von 18% auf 23%, angestiegen. Die Gründe sind vielfältig. Unsere Auswertungen im Rahmen des Green Startup Monitors haben über die Jahre jedoch deutlich gemacht: Gründungsteams mit Frauen, ob rein weibliche oder gemischt-geschlechtliche Teams, räumen Zielsetzungen zu Nachhaltigkeit und Wirkung einen höheren Stellenwert ein als männliche Teams. Es besteht also ein klarer Zusammenhang zwischen Geschlechtervielfalt in Teams und der Impactorientierung.

Econeers: Nachhaltigkeit ist ein breit diskutiertes Thema und in den meisten Lebensbereichen angekommen – dennoch wird es zusätzlich oft noch besonders hervorgehoben. Fünf oder zehn Jahre in die Zukunft geschaut: Wird Nachhaltigkeit irgendwann zum Standard?

Prof. Dr. Klaus Fichter: Nachhaltigkeit sollte keine Sonderkategorie mehr darstellen, sondern ganzheitlich in bestehenden Systemen mitgedacht werden. Dass sich Nachhaltigkeit als Standard etabliert, ist bereits durch den gestiegenen Handlungsdruck in Richtung Nachhaltigkeit auf allen Ebenen wahrzunehmen. Also ja, Nachhaltigkeit wird zukünftig ein Standard und Muss für alle Unternehmen.

Econeers: Ein Frage zum Schluss – Welche Veränderungen wünschen Sie sich von der Politik und dem Gründungsökosystem?

Prof. Dr. Klaus Fichter: Der Green Startup Monitor zeigt: Grüne Startups wünschen sich vor allem anderen, dass Verwaltungsprozesse sowohl vereinfacht als auch beschleunigt werden. Die Öffnung und Vereinfachung der öffentlichen Vergabe stellt einen weiteren zentralen Hebel zur Stärkung des Ökosystems dar. Mit Blick auf die weiter bestehenden Finanzierungsprobleme von grünen Startups sind außerdem passgenauere Förder- und Finanzierungsformate wichtig, um die doppelte Dividende besser zu erschließen und auszubauen.

Das Borderstep Institut setzt sich zusammen mit der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg dafür ein, dass Nachhaltigkeit als Kriterium in Förderprogrammen noch stärker fokussiert wird. Erfreulich ist zu sehen, dass sich ein neues Nachhaltigkeitsparadigma in der Gründungsförderung abzeichnet. Das lässt sich z.B. mit der Aufnahme von Nachhaltigkeitskriterien in das EXIST-Gründungsstipendium (Existenzgründungen aus der Wissenschaft) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz beobachten. Auch hier wünschen wir uns, dass die Nachhaltigkeitsausrichtung mehr Fahrt aufnimmt und ein Mainstreaming erfährt – um Startups nicht nur in ihrer Rolle als Wirtschaftstreiber, sondern als wichtige Innovatoren mit Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit, wie zum Beispiel Klimawandel und soziale Teilhabe, weiter zu fördern.

Econeers: Vielen Dank für Ihre Zeit!

Disclaimer: Investments in nachhaltige Projekte und erneuerbare Energien sind riskant und sollten nur als Teil eines diversifizierten Portfolios erfolgen. Jedes Investment kann einen Totalverlust der Investitionssumme zur Folge haben. Econeers richtet sich ausschließlich an Nutzer in Deutschland mit deutschem Bankkonto, die ausreichend Erfahrung und Kompetenz haben, um die Risiken von Crowdinvestments zu verstehen und eigenverantwortlich Investmententscheidungen zu treffen.

Der Erwerb der angebotenen Wertpapiere und Vermögensanlagen ist mit erheblichen Risiken verbunden und kann zum vollständigen Verlust des eingesetzten Vermögens führen. Der in Aussicht gestellte Ertrag ist nicht gewährleistet und kann auch niedriger ausfallen.

1 Comment

  1. Ralf Herweg
    2. November 2023

    Interessantes Interview, bei „Somit können noch keine Nachweise für in der Vergangenheit geleistete Beiträge, zum Beispiel zu Umwelt- und Klimaschutz, erbracht werden. Der Fokus verschiebt sich bei der Wirkungsmessung stattdessen auf die Bewertung des Potenzials für die Zukunft“ musste ich an das Startup Pionierkraft aus München denken. Ich habe 4 ihrer Pionierkraftwerke verbaut und verkaufe meinen Strom vom Dach an meine Mieter wenn ich ihn nicht brauche, Batteriespeicherintegration gibts auch schon. Das ist definitiv Zukunftsträchtig und sehr wichtig da der Bestands-Gebäude Sektor ein meist vergessener CO2 Gigant ist.

    LG Ralf Herweg

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