Wie wir morgen leben

Klimawandel, Artensterben, Kriege um knappe Ressourcen, Hungersnöte und Dürren: Die Menschheit steht vor enormen Herausforderungen. Jedes Jahr potenzieren rund 78 Millionen neue Erdenbürger den Handlungsdruck. Denn so stark wächst die Menschheit jährlich. In 2050 werden 9,7 Milliarden Menschen Essen und Trinken sowie Wohnraum benötigen. Weit über 70 Prozent leben dann in sogenannten Megastädten. Wie der urbane Raum der Zukunft aussehen wird, hat also entscheidenden Einfluss auf die Bewältigung oben genannter Probleme. Erste Lösungen und Teilkonzepte für sogenannte Smart Cities werden bereits heute erprobt und es reift die Erkenntnis, dass die Stadt von morgen nicht nur smart sein muss, sondern auch grün.

Am 2. August 2017 war Er da: der Weltüberlastungstag. Seit dem lebt die Menschheit mit ihrem Hunger nach Energie, Nahrung und anderen Ressourcen auf Pump. Jedes Jahr rückt dieser Tag im Kalender ein Stückchen weiter nach vorne. Die Erde vergibt aber keine Kredite. Gleichzeitig kommen immer mehr Menschen hinzu und siedeln sich hauptsächlich in großen Städten an. Immer mehr Flächen fallen der Verstädterung zum Opfer, längere Wege werden für die Versorgung benötigt und weniger Menschen arbeiten aktiv in der Nahrungsmittelproduktion. Eine denkbar schlechte Kombination. Die Lösung: Smart Cities.
Während unter dem Begriff „Smart City“ viele Dimensionen subsumiert werden, wie beispielsweise Mobilität, Wirtschaft, Informationsinfrastrukturen, rücken wir die „grüne“ Dimension in den Fokus.

Natur und Stadt verschmelzen

Die Natur muss in die Stadt. Dieser Erkenntnis folgte nicht nur der Künstler Friedensreich Hundertwasser in seinen legendären Interpretationen vom modernen Stadtquartier, sondern ist Konsens vieler Wissenschaftler, Stadtplaner und Architekten. Die Integration von Pflanzen im urbanen Raum leistet vieles: Sie reinigen die Luft von Giftstoffen wie Stickoxiden oder Feinstaub, sie binden klimaschädliches CO2, sie sind als Biomasse wichtige Energieträger und gewinnen immer mehr Bedeutung für die Stromgewinnung, sie ernähren Menschen, schaffen für Tiere wie beispielsweise Vögel, Bienen und andere Insekten Lebensräume und gewährleisten die natürliche Nahrungskette, sie schaffen wichtige soziale Räume, minimieren Geräuschemissionen und lindern nachweislich Stress sowie stressbedingte Erkrankungen.

Bereits heute gibt es schon viele visionäre Konzepte, wie Stadt und Natur in Einklang miteinander gebracht werden können. Vielversprechende Ansätze wurden und werden bereits heute schon erprobt und umgesetzt.

Ein spannendes Konzept ist die Algenzucht an Häuserwänden zur Nahrungsmittelproduktion sowie Energiegewinnung. Sie enthalten einen hohen Anteil an Proteinen, Mineralstoffen, Spurenelementen, Vitaminen und Omega-3-Fettsäuren. Algen lassen sich in geschlossenen Systemen fast überall kultivieren, was sie insbesondere für den Einsatz in urbanen Räumen interessant macht. Der Wasserbedarf ist gering und ein Großteil des Wassers kann recycelt werden. Durch den Einsatz von Algentanks an Häuserwänden kann ein optimaler Lichteinfall gewährleistet werden. Zudem binden sie das klimaschädliche Kohlendioxid deutlich effektiver als die meisten anderen Pflanzen. Algen können zu Biogas weiterverarbeitet werden und dienen somit als Energielieferanten. Eine sogenannte Algenbioreaktorfassade wurde bereits 2013 in Hamburg erfolgreich umgesetzt.

Eine andere Möglichkeit, wichtige Pflanzen im urbanen Raum zu integrieren ist, neben der Begrünung von Brach- und Dachflächen, das Vertikal Gardening. Als Erfinder gilt der französische Gartenkünstler und Botaniker Patrick Blanc. Seit ihm wurde die gezielte Fassadenbegrünung in vielen Städten bereits erfolgreich umgesetzt. So konnten nicht nur wichtige Habitate geschaffen, sondern aktiv ein Beitrag zur Luftverbesserung geleistet werden. Ein wichtiger Faktor, denn allein im Jahr 2012 starben weltweit 7 Millionen Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung. Insbesondere bei der Feinstaubbekämpfung hat sich unter Laborbedingung Moos aufgrund der elektrostatischen Anziehung seiner vielen „Härchen“ als besonders effektiv erwiesen. Ganz nebenbei wird natürlich auch durch Moos Lebensraum für Tiere geschaffen als auch CO2 gebunden. Wie effektiv Moos unter realen Bedingungen die Luftverschmutzung reduzieren kann, testet aktuell Stuttgart an seinem Verkehrsknotenpunkt Cannstatter Straße, der schmutzigsten Straße Deutschlands. Efeu und Gras haben bereits ihren Lackmustest bestanden und konnten nachweisen, dass sie über 30 Prozent aller Schadstoffe aus der Stadtluft herausfiltern können, wenn sie an Häuserfassaden eingesetzt werden. Der Grund: In den Häuserschluchten verweilt die Stadtluft besonders lange. So kann die Begrünung besonders effektiv Emissionen herausfiltern.

Ein anderes Konzept zur Lösung wichtiger städtischer Herausforderungen ist die Stadtlandwirtschaft, sogenanntes Stadtfarming. Auf kleinstem Raum werden bereits jetzt Nahrungsmittel meist in Hydrokulturen in Deutschen Städten angebaut. Salate, Kräuter und Pilze sind dafür besonders prädestiniert. Sie können gut im Keller oder anderen unbewohnten Flächen sowohl draußen als auch drinnen angebaut werden. Das spart lange Transportwege von Nahrungsmitteln in die Zentren, garantiert die Frische und entspannt den Konkurrenzdruck um Ackerflächen.

Ein sehr vielversprechendes Konzept der städtischen Lebensmittelversorgung wird der Aquaponik beigemessen. Hier werden sowohl Fische als auch Gemüse und Obst auf kleiner Fläche in einem Kreislauf gemeinsam gezüchtet und geerntet. Eine Sonderform der Aquaponik – die Aquaterraponik – ist eine besondere Innovation. Sie gilt als Vollendung der Permakultur, also einer stetigen Landwirtschaft in einem geschlossenen und natürlichen Kreislauf. Ohne Einsatz von Pestiziden, Düngern oder Hormonen und weitgehend abfallfrei werden Fische und Agrarprodukte je nach Nährstoffbedarf derart angeordnet, dass sie optimal und in einem geschlossenen Kreislauf versorgt werden können. Durch diesen völlig neuen Ansatz des nachhaltigen und ressourcenschonenden Anbaus können bis zu 80 Prozent des Wassers, 80 Prozent der Anbaufläche sowie 85 Prozent des CO2-Ausstoßes eingespart werden.

Eine Pilotanlage dieser besonderen städtischen Landwirtschaftsmethode wurde als Europas größte gläserne Stadtfarm inmitten von Berlin errichtet und soll Modell stehen für weitere Anlagen und einer neuen zukunftsweisenden Form der urbanen Lebensmittelversorgung.

Die Zukunft ist grün

… dessen sind wir uns sicher. Ein Umdenken ist angesichts der globalen und vor allem urbanen Herausforderungen dringend nötig. Wer schon heute diesen Weg beschreitet, dem steht die Zukunft offen. Denn irgendwann wird es heißen, entweder grün oder gar nicht. Also warum dann warten?!

 

Foto: Vincent Callebaut Architectures, Paris

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