In Sachen Digitalisierung liegt Deutschland im europaweiten Vergleich nur auf dem vorletzten Platz, das geht aus dem Digital Riser Report hervor. In diesem Punkt hat unsere ansonsten starke Wirtschaftsnation noch enormes Entwicklungspotenzial. Kein Wunder! Bisher geht der digitale Wandel in Deutschland nur äußerst schleppend voran. Mangelnder Netzausbau, fehlende Gelder und Unbeholfenheit seitens Staat und Unternehmern zögern den Fortschritt hinaus. Dabei bringt die Digitalisierung für die meisten Branchen vor allem Vorteile mit sich – von Prozessoptimierung über Datenauswertungen bis hin zu mehr Flexibilität über Arbeitsort- und zeit.
Corona der Digitalisierungstreiber?
2020 kam womöglich ein kleiner Wendepunkt. Während die Corona-Pandemie an vielen Stellen für Rückschläge sorgte, gab sie digitalen Technologien und Ideen die längst notwendige Aufmerksamkeit. Plötzlich waren viele Unternehmen gezwungen, digitale Lösungen zu finden, um ihren Geschäftsbetrieb weiter aufrechterhalten zu können. Doch nicht nur Unternehmen, auch andere Institutionen wie öffentliche Verwaltungen oder Schuleinrichtungen sahen sich vor große Herausforderungen gestellt, die auch jetzt, fast zwei Jahre später, noch nicht vollends gemeistert wurden.
Eigentlich sollte man meinen, diese Umstände haben Deutschland beflügelt, die Aufholjagd im Digital-Ranking zu beginnen. Doch das Gegenteil war der Fall und ließ Deutschland im internationalen Vergleich noch weiter zurückfallen. Selbstverständlich wurden Maßnahmen ergriffen, die für das in Digitalisierungsangelegenheiten doch recht prüde Deutschland viel und umfangreich erschienen. Ausreichend war es leider nicht. Potenziale vieler Branchen wurden nicht ausgeschöpft. Laut KfW-Digitalisierungsbericht Mittelstand 2020 führten mehr als ein Drittel der deutschen Mittelständler keine Tätigkeiten zur Digitalisierung ihres Unternehmens durch. Aber die digitale Transformation scheitert nicht nur an der Unentschlossenheit von Entscheidern, sondern auch an der mangelnden Infrastruktur. Das “Projekt” Remote Work wurde gerade zu Beginn der Pandemie stark ausgebremst. Grund dafür waren langsame und instabile Internetverbindungen, denn vielerorts sind beispielsweise Glasfaserverbindungen nur unzureichend ausgebaut.
Lichtblicke gab es dennoch. Während viele Unternehmen mit Cloud-Anwendungen, virtuellen Meetings und vor allem Remote Work erst einmal Neuland betraten, stellten sich junge, agile Startups, die digitale Lösungen schon fest in ihren Arbeitsalltag verankert hatten, als Vorreiter heraus.
Digitalisierungsschub durch Startups
Startups sind für die Digitalisierung von großer Bedeutung. Aus einer Studie des Deutschen Startup-Verbandes geht hervor, dass bereits 88 % der befragten Startups auf stark digitalisierte Arbeitsprozesse setzen. Als sogenannte Digital Natives bringen sie frischen Wind und Innovationen in die Wirtschaft. Doch nicht nur das: Immer mehr Startups legen sogar den Schwerpunkt ihrer Geschäftsidee auf das Thema Digitalisierung. Sie entwickeln entsprechende Anwendungen oder Softwares, die anderen Unternehmen Arbeitsprozesse erleichtern sollen. Gerade in bisher recht unberührten Branchen wie z. B. der Gesundheits-, Bestattungs- oder Baubranche liegt großes Potenzial für Startups, Fuß zu fassen.
Insbesondere der Mittelstand kann in hohem Maß von den Digital-First-Ansätzen der Startups profitieren, welche gerade zu Beginn ihren Blick oft auf kleine und mittlere Unternehmen (kurz: KMU) richten. Im Gegenzug erhalten die jungen Unternehmen Referenzkunden und Sparringspartner, die die teils sehr neuen Systeme auf Herz und Nieren prüfen – und hochwertiges Feedback zur Weiterentwicklung bereitstellen. Ein Match, das funktioniert: So hat Deutschland mit Personio, Wefox, Celonis u. v. m. bereits eine ganze Riege an Tech-Unternehmen mit Milliarden-Bewertungen – sogenannte Einhörner – hervorbringen können.
Der Weg dahin war jedoch nicht leicht: Schwer zugängliches Kapital, langwierige bürokratische Prozesse während der Unternehmensgründung oder die Ungleichbehandlung von Geschlechtern bei der Kapitalverteilung sind nur einige Hürden, die Startups anfangs meistern müssen.
Neue Hoffnung kommt jetzt ausgerechnet aus der Politik: Mit der neuen Bundesregierung bricht vielleicht eine neue Ära für das Digitalisierungs- und Startupland Deutschland an.
Der Koalitionsvertrag als Startup-Hoffnung
177 Seiten umfasst der Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung, worin die Ziele der nächsten Jahre für die Themenfelder Wirtschaft, Politik und Gesellschaft definiert wurden. Auch Startups finden in dieser Vereinbarung zwischen der SPD, den Grünen und der FDP Erwähnung – 11 Mal, um genau zu sein. Der Fokus soll zukünftig auf einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft liegen, in der Startups einen wichtigen Baustein bilden. Erreicht werden soll dieses Vorhaben durch die Förderung junger Gründerinnen und Gründer. Das übergeordnete Ziel der Ampel-Koalition: „Deutschland soll führender Startup-Standort in Europa werden“.
Was bedeutet das konkret? Einige Dinge, die sich in den kommenden Jahren zugunsten junger Startups ändern sollen:
- Ein vereinfachter, rechtssicherer Zugang zu öffentlichen Aufträgen soll geschaffen werden.
- Venture Capital soll auch in späteren Phasen besser zugänglich sein.
- Universitäten sollen zur Startup-Schmiede werden: Ausgründungen aus der Forschung werden mit „Science-Entrepreneurship-Initiativen“ begleitet.
- Es soll auf mehr Gründerinnen und mehr Gründungen von Menschen mit Migrationshintergrund hingewirkt werden (#Diversity).
- Hürden zur Unternehmensgründung sollen abgebaut werden. Die Möglichkeit, innerhalb von 24 Stunden zu gründen, soll geschaffen werden. In sogenannten One-Stop-Shops sollen Gründende zukünftig eine Anlaufstelle für Gründungsberatung, -förderung und -anmeldung in einem finden.
- Digitale Schlüsseltechnologien sollen weiter in den Mittelpunkt rücken, z. B. Künstliche Intelligenz, Robotik oder BioTech. Das Ziel: Deutschland soll Innovationsführer werden – ebenso in den Bereichen Elektromobilität und erneuerbare Energien.
- Gründungen mit neuen Rechtsformen sollen erleichtert werden, z. B. die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen.
Nun bleibt abzuwarten, ob die neue Regierung den großen Plänen gerecht wird – und durch aktive Förderung junger Gründerinnen und Gründer eine noch agilere, innovationsgetriebene Startup-Kultur in Deutschland hervorbringt.