An einem Tag im Jahr 1908 beschließt Melitta Bentz, dass sie den Kaffeesatz in ihrer Tasse einfach nicht mehr ertragen kann. Er klebt zwischen den Zähnen, schmeckt bitter und verdirbt ihr den Genuss. Kurz entschlossen greift die Dresdner Hausfrau zu Hammer und Nagel und durchlöchert den Boden eines alten Messingtopfs. Dann zieht sie ein Löschblatt aus den Schulheften ihrer Söhne, schneidet es zurecht und legt es in den Topf hinein. Dieser kleine Handgriff ist die Geburtsstunde des Kaffeefilters. Dass die Geschichte mehr als 100 Jahre später noch erzählt wird, hat einen einfachen Grund: Melitta Bentz war nicht nur erfinderisch, sondern auch clever. Sie ließ ihre Idee patentieren. Heute ist die Melitta Group KG Marktführer bei Filtertüten. Mehr als 4.000 Menschen arbeiten für das Unternehmen.
Kaffeefilter, Computer, MP3-Player – viele bahnbrechende Erfindungen kommen aus Deutschland. Dass wir zum Beispiel bei Kopfschmerzen schnell zur Tablette greifen können, verdanken wir dem Chemiker Felix Hoffmann. Im Jahr 1897 entwickelte er Aspirin, das heute zu den meistverwendeten Medikamenten zählt. Und natürlich darf in dieser Reihe auch Carl Benz nicht fehlen, der Entwickler des ersten praxistauglichen Kraftwagens der Welt. – Zugegeben, besonders aktuell sind diese Erfindungen nicht. Große Innovationen, so könnte man glauben, kommen heutzutage nicht aus Deutschland, sondern aus den USA. Unternehmen wie Amazon oder Apple geben jährlich Milliarden für Forschung und Entwicklung aus. Doch auch die Bundesrepublik muss sich nicht verstecken.
Innovativste Länder der Welt: Deutschland unter den Top 10
Die Zahlen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) belegen es: Deutschland ist ein Land der Ideen. Jedes Jahr veröffentlicht die WIPO eine Liste der innovativsten Staaten. Bei ihrer Untersuchung schauen sich die Experten 130 Länder an. Aus verschiedenen Kennzahlen berechnen sie einen Score. Die Zahl der Patentanmeldungen, die Bildungsausgaben, die Qualität wissenschaftlicher Publikationen – all das spielt bei der Berechnung eine Rolle. Im aktuellen Ranking belegt Deutschland immerhin den neunten Platz – noch vor Südkorea und China. Auf die Spitzenplätze schaffen es die USA (3. Platz) und Schweden (2. Platz). Und welches Land steht ganz oben? Na, wer hat’s erfunden? Die Schweizer natürlich.
Für die Forschung: Staat und Wirtschaft investieren Milliarden
Wenn es um Innovationen geht, will Deutschland im internationalen Wettbewerb nicht den Anschluss verlieren – und lässt sich das einiges kosten. Noch nie wurde hierzulande mehr in Forschung und Entwicklung investiert als in den vergangenen Jahren. Nach Angaben der Bundesregierung geben Staat und Wirtschaft dafür zusammen inzwischen 99,6 Milliarden Euro pro Jahr aus und damit rund drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Und auch eine weitere Studie zeigt, dass die Lage rosig ist. Die Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) legt jährlich ein Ranking der innovativsten Unternehmen vor. Unter den Top 50 sind neun Firmen aus Deutschland vertreten. Nur die USA können diese Zahl noch toppen. Zwei deutsche Unternehmen stechen dabei besonders hervor: der Sportartikelkonzern Adidas auf Platz zehn des Rankings und der Chemiekonzern BASF, der von Rang 21 auf 16 geklettert ist.
Wer wettbewerbsfähig bleiben will, muss sich weiterentwickeln
Doch so schön das klingt, Tatsache ist auch: Innovationen sind für Unternehmen heutzutage viel mehr als ein Nice-to-Have. Alle Firmen stehen gerade vor großen Herausforderungen. Der schnelle Wandel, die Globalisierung, die Geschwindigkeit, mit der neue Technologien entwickelt werden, die Masse an verfügbarem Wissen – das alles führt dazu, dass Firmen ständig unter Zugzwang sind. Nur, wenn sie fortlaufend neue Produkte auf den Markt bringen, wenn sie Prozesse verbessern und Geschäftsmodelle weiterentwickeln, bleiben sie auch wettbewerbsfähig.
Und genau das schaffen längst nicht alle. Eine Analyse der Bertelsmann-Stiftung zeigt: Deutsche Unternehmen bewegen sich zu häufig auf ausgetretenen Pfaden. Einer relativ kleinen Speerspitze von innovativen Unternehmen steht eine Mehrzahl von innovationsfernen Firmen gegenüber. „Zu viele Unternehmen stolpern in die Zukunft, anstatt mit einer offenen Innovationskultur voranzugehen”, erklärt Studienleiter und Wirtschaftsexperte Armando Garcia Schmidt. Wer also bringt Schwung hinein, auf wen kann Deutschland zählen, wenn es um neue Ideen geht? Die Antwort ist klar: Startups. Junge Unternehmen zeichnen sich besonders durch Innovationsgeist und Agilität aus. Sie sind es gewohnt, sich schnell auf veränderte Umstände einzustellen. Sogar jetzt, während der Corona-Krise, entwickeln viele Startups neue Ideen, stellen ihr Geschäftsmodell um und besetzen Marktlücken, die nun besonders gefragt sind.
Wenn die beste Idee zu Hause entsteht
Manchmal ist es auch die eigene Unzufriedenheit, die Erfinder antreibt. So ging es zum Beispiel dem Ingenieur Andre Kholodov, der im Juli 2013 in München die Firma eCozy gründete. Er war damals mit den auf dem Markt verfügbaren, digitalen Heizkörperthermostaten unzufrieden, da diese Produkte seinem Empfinden nach viel zu kompliziert zu bedienen waren und ziemlich veraltet aussahen. Kurz entschlossen kreierte er das erste smarte Lifestyle-Thermostat: ein Gerät, das nicht nur gut aussieht, sondern sich auch mittels App steuern lässt. Mit einer ganz anderen, aber auch sehr innovativen Idee beschäftigt sich Möve Bikes. Die Gründer entwickelten im Jahr 2014 einen komplett neuen Fahrradantrieb, der die Beinkraft effektiver ausnutzt, und meldeten diese Erfindung zum Patent an. Dank ihnen können Radfahrer nun schneller auf Touren kommen und zügiger unterwegs sein. Und manchmal entstehen die besten Geschäftsideen sogar in den eigenen vier Wänden. Das beweisen die Gründer von TinkerToys. Die Familienväter stellten zu Hause fest, dass ihre Kinder schnell das Interesse an einem neuen Spielzeug verlieren. Sie suchten nach Alternativen und entdeckten die 3D-Drucker. Damit, so dachten sie, könnten Kinder ihr eigenes Spielzeug selbst entwickeln und nebenbei die Möglichkeiten neuer Technologien kennenlernen. Das Konzept ging auf. Inzwischen erzielt das Magdeburger Unternehmen jährlich sechsstellige Umsätze.
Ein Fahrrad, das fast von allein fährt, Spielzeug, das von Kindern selbst entwickelt wird – Melitta Bentz hätte sicher beides gut gefallen. Clevere Erfinder gibt es auch heute noch. Und es werden künftig noch viele spannende Ideen hinzukommen.