Buttermilch macht Männer und Frauen erst richtig schön. Der Drops Traubenzucker verhilft zur der geistigen Hochleistung eines Schachmeisters und in der Bärchenwurst steckt alles für eine gesunde Kinderernährung. Im Marketing wird viel geschönt, aufpoliert und im Zweifelsfalle gelogen, dass sich die Balken biegen. In kaum einer Branche wurde das so professionalisiert wie im Lebensmittelbereich. Hauptsache man bekommt das Produkt an den Mann – egal welchem Trend er folgt. Heute wird alles vegetarisch, nachhaltig oder sogar vegan – morgen feiert das multifunktionale Superfood sein Comeback. Was der Kunde fragt, bekommt der Kunde. Dafür muss sich selten die Produktpalette anpassen, sondern wird oftmals allein die Kreativität der Marketingabteilung gestreckt und gedehnt. Aber es gibt Ausnahmen – sogar sehr erfolgreiche Ausnahmen. Wir haben uns den erfrischenden Gegenentwurf angesehen…
Eins vorneweg: Alle Beispiele sind nichts für nervenschwache Marketingstrategen. Denn es gehört eine ordentliche Portion Mut und eine unerschütterliche Markenidentität zu einer erfolgreichen Umsetzung eines „Antimarketing“-Konzeptes. Natürlich ist auch das Verweigern falscher Versprechen und des Anbiederns an den Kunden gutes Marketing. Es setzt aber bewusst auf Ehrlichkeit, polarisiert und stößt damit auch viele Kunden vor den Kopf. Ein sehr erfolgreiches Beispiel ist der Smoothie-Hersteller true fruits. Hier ist der Name Programm. Bei diesem Hersteller kauft man keinen Mangosaft, der im Winziggedrucktem offenbart, dass nur 3 Prozent des Saftes tatsächlich aus der Mango gewonnen wurde. True fruits druckt seine Zutatenliste als Bestandteil seines Flaschendesigns groß auf. Auch der Umgang mit Kunden ist gewöhnungsbedürftig und widerspricht den Verkaufsmantras der “alten Schule”: Eine Kundin beschwerte sich, dass die meisten Sorten Apfel enthielte. Sie finde es nicht schön, weil sie Apfel nicht vertrage. Die Antwort von true fruits: „Wir finden es aber schön…“ Für die Bewerbung einer neuen Produktlinie ging das Unternehmen ebenfalls ungewöhnliche und manche sagen eindeutig zu sexistische Wege.
Die neuen Smoothies mit Chiasamen wurde großflächig auf Plakate mit dem Claim „Oralverzehr – Schneller kommst Du nicht zum Samengenuss“ oder „Bei Samenstau gut schütteln“ beworben. Das Unternehmen fing sich Unmengen an Kritik und Plakatierungsverbote ein. True fruits verzichtet auf Fernsehwerbung oder Sponsoring – Social Media und Empfehlungsmarketing sind die Hauptkanäle, um die Produkte zum Kunden zu bringen. Co-Gründer Nicolas Lecloux textet die Glasrückseite mit den Sprüchen selbst mit und vergleicht eine Sorte wegen der Optik auch schon mal als „Frittenfett“. All diese Konsequenzen aus dem Konzept des “Antimarketings” sind oft unbequem, polarisieren und bemühen sich kaum, das Produkt in einem besseren Licht darzustellen.
Doch nun kommt das „aber“. Mit 40 Millionen Euro Umsatz und einem Marktanteil von weit über 58 Prozent in 2016 behauptet sich true fruits erfolgreich am Markt des „liquid-fruit-Segmentes“. Dank der starken Identität des konsequenten „Antimarketings“ an allen Kontaktpunkten wurde das Unternehmen nicht nur binnen der zehn Jahre seit Bestehen sehr erfolgreich.
Es konnte trotz Marktkonsolidierungen seine Marktführerschaft vorbereiten und ausbauen. Die starke Identitätsausprägung der Marke, natürlich auch das Produkt sowie das klare Statement, dass man sich nicht beliebig um jeden Kundenwunsch herum entwickelt, schafften eine dauerhafte, emotionale und vor allem krisenstabile Kundenbindung. Die Flaschen mit den frechen Sprüchen haben zudem mittlerweile Kult- und Sammelstatus erlangt.
Eier aus Stahl
True fruits ist keineswegs eine Ausnahme. Auch andere Getränkehersteller setzten das Konzept der unbestechlichen Ehrlichkeit sehr erfolgreich um. Sie verkaufen eben keine vegane Superbrause, sondern Zuckerwasser mit Geschmack – schlicht weil man einfach manchmal Lust auf Zuckerwasser mit Geschmack hat. Und das in Geschmackssorten, die sich nicht einem Mainstream-Geschmack beugen wollen und müssen. Das macht sie einzigartig, charakterstark und sehr erfolgreich. Für Unternehmen wie diese hat true fruits-Mitgründer Marco Knauf seine Hoden in Stahl gießen lassen (ja, es ist tatsächlich ein Abbild des CEO’s und Gründers!) und verleiht den „Eier aus Stahl“-Award an „Unternehmen, die sich nicht verstellen, nur um der Masse zu gefallen. Unternehmen, die zu ihren Ansichten stehen und Rückgrat zeigen. Denn das bedeutet Mut.“ Und ist anscheinend in der überretuschierten und voller Werbebotschaften plakatierten Alltagswelt der Kunden sehr beliebt und erfolgreich. Denn es ist erfrischend (und) anders…