Eine aktuelle Bain & Company Studie untersuchte, wie Unternehmen in ihrer digitalen Transformation vorankommen. Das Ergebnis überraschte kaum: Nur knapp 5 Prozent aller Unternehmen weltweit erreichten ihre Ziele. Als Ursache wurde das Fehlen einer ganzheitlichen Strategie zur Umsetzung der Digitalisierung identifiziert. Einzelne Leuchtturmprojekte waren zwar erfolgreich, blieben aber losgelöst von Prozessketten oder anderen Geschäftsbereichen. Ein Fehler, denn digitale Vorreiter wachsen rund 50 Prozent schneller als der Wettbewerb und sind bis zu 30 Prozent profitabler. „Im digitalen Zeitalter gilt die Winner-takes-it-all-Logik. Wer seine Transformation heute nicht in Gang bringt, wird schon in wenigen Jahren von der Konkurrenz abgehängt“, appelliert Bain-Experte Dr. Jörg Gnamm. Vielerorts werde noch versucht, digitale Innovationen mit klassischen Konzernmethoden zum Erfolg zu führen. Während Endkunden immer stärker digitale Angebote und Services nachfragen, scheinen die unternehmensinternen Strukturen, die Geschäftskundenbeziehungen als auch das Supply Chain Management (SCM) vom Trend der Digitalisierung noch unberührt. Ein Versäumnis mit immensen Auswirkungen auch auf das Endkundengeschäft. Bain & Company sieht die Lösung in der Digitalisierung entlang der Prozessketten – eben ganzheitlich. Wer diesem Rat folgt, identifiziert die Supply Chain 4.0 als seinen roten Handlungsfaden in der Umsetzung der Digitalisierung, der ihm Struktur gibt und dennoch jeden Unternehmensbereich umfasst.
Supply Chain 4.0 gibt der Digitalisierung Struktur
Das Beratungshaus McKinsey befasste sich aufgrund der immensen Potenziale eingehender mit den Vorteilen der Supply Chain 4.0 und stellte fest, dass Unternehmen, die diesem Digitalisierungsansatz folgten, deutlich schneller, flexibler, detaillierter, effizienter und exakter arbeiteten. Laut seiner Untersuchung können entgangene Umsätze durch den verbesserten Service bis zu 75 Prozent gemindert, die Kosten für Lagerung und Transport um 30 Prozent abgebaut, die Verwaltungskosten bis zu 80 Prozent gesenkt und das in den Warenbeständen gebundene Kapital zu 75 Prozent freigesetzt werden.
Eine Branche mit global weit verzweigten Prozessketten und sehr schnellen Trendwechseln bei den Endkunden ist die Fashion-Industrie. Ein sehr ressourcenintensiver, aber auch kapitalkräftiger Markt: Eine aktuelle Prognose des Euromonitors schätzt für das Jahr 2018 ein Marktvolumen von über 59 Milliarden Euro in Deutschland im Segment Bekleidung und Schuhe. Allein saisonbedingt erfolgt viermal im Jahr ein kompletter Inventur- und Nachfragewechsel. Spontan entstehende Trends, weil beispielsweise Prominente mit einem neuen Kleidungsstück oder Accessoire in den Gazetten, Blogs oder Instagram-Accounts thematisiert werden, erfordern zusätzlich schnelle Kurskorrekturen in den Kollektionen. Das in diesem rauen und wettbewerbsstarken Milliardengeschäft bereits eine Fehlsaison Marktteilnehmer in die Krise stürzen kann, weil sie eben nicht rechtzeitig auf veränderte Nachfragen reagieren und hohe Bestände nachhalten müssen, erfuhren auch große Marken wie Esprit, Tom Tailor oder jüngst der Shopping-Gigant Zalando.
Mit Faster Fashion an die Spitze
Dabei ist das Problem seit vielen Jahren bekannt: Die Produktion ist in ferne Länder abgewandert, die Prozesse zwischen Händler, Label, Herstellung und Stoff-Lieferanten wurden immer komplexer und lassen damit kaum Verkürzungen der Reaktionszeiten zu. Aber auch im B2B-Vertrieb zwischen Marke und Händler geht wichtige Zeit verloren – durch sprichwörtliche Zettelwirtschaft und mehrheitlich reinen Direktvertrieb. Bis ein Produkt entwickelt und ausgeliefert wurde, vergehen viele Monate.
Dank Supply Chain 4.0 ließen sich heute zahlreiche Schritte in der Prozesskette digitalisieren und damit wesentlich effizienter und zeitsparender gestalten, lautete das Resümee des diesjährigen Fashion Forums in München: Vom digitalen Design mit 3D-Simulation – das nicht nur der besseren Visualisierung der Designidee nutzt, sondern auch der Kommunikation mit den Produzenten – über digitales Sampling bis hin zu digitalem Showrooming, wie es das Startup Smartview360 der Industrie anbietet.
Der britische Modehändler Asos hat diese Transformation bereits hinter sich gebracht: Von der Idee zum Produkt braucht es nur noch 25 Tage und auf die Lagerhaltung wurde komplett verzichtet. Binnen drei Jahren konnte der Konzern seinen Umsatz auf mehr als 2,4 Milliarden Pfund in 2018 verdoppeln. Damit führt Asos die Riege der Fast Fashion-Konzerne mit seinen Umsatzzuwächsen an – aber auch wenn andere Konzerne diese gigantischen Umsatzzuwächse nicht verbuchen konnten, so gelang es ihnen mehrheitlich, ihre Umsätze signifikant zu steigern.
Die Digitalisierung kommt sprichwörtlich in Mode. Wem statt Trendprojekten eine ganzheitliche Transformation gelingt, der kann den Wettbewerb erfolgreich hinter sich lassen.