Deutschland und das Autofahren – das gehört einfach zusammen. Die Automobilindustrie ist mit einem Umsatz von knapp 380 Milliarden Euro im Jahr 2020 Deutschlands umsatzstärkste Branche und ein wichtiger Wirtschaftsmotor. Doch sie befindet sich seit Jahren in einem Umbruch. Dieselskandal, Abwrackprämie, der Trend hin zur E-Mobilität und die Diskussion um die Einführung eines generellen Tempolimits auf den Autobahnen sind nur einige Themen, die in den vergangenen Jahren immer wieder Schlagzeilen machten. Die Zeichen sind eindeutig: Die Mobilität ist im Wandel – weg vom “Höher, schneller, weiter” hin zu kleineren, effizienteren und ressourcenschonenderen Fahrzeugen. Wer jetzt ein neues Auto anschaffen möchte, steht daher vor vielen Fragen. Lohnt es sich noch, in einen Benziner zu investieren, obwohl die Spritpreise immer weiter steigen? Soll es ein E-Auto sein, oder ist die Elektromobilität doch noch nicht ausgereift? Die Konsequenz: Immer mehr Menschen sind nicht mehr bereit, viel Geld für einen Neuwagen auszugeben und sich lange daran zu binden, sondern sehen ein Auto mittlerweile als “Lebensabschnittsgefährten” und möchten sich größere Flexibilität erhalten.
Doch nicht nur die Nachfrage nach Neuwagen hat sich dadurch verändert – auch die Art und Weise, wie Menschen an ihren fahrbaren Untersatz kommen, wandelt sich. Die Zeiten, in denen es üblich war, jahrelang zu sparen, umfangreiche Recherchen durchzuführen, mehrere Probefahrten zu absolvieren und dann schließlich im Autohaus der Wahl viele Scheine auf den Tisch zu blättern, um wenig später stolz mit dem neuen Auto vom Hof zu fahren, sind vorbei. Mit der Abkehr vom Neuwagen haben auch die Autohäuser als klassischer Vertriebskanal an Bedeutung verloren. Diese Veränderung ist jedoch gleichzeitig eine Chance – für neue, digitale Vertriebskanäle und damit auch für junge Unternehmen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die verkrusteten Strukturen der Automobilbranche zu modernisieren.
Das Auto als Lebensabschnittsgefährte: Der Leasingmarkt boomt
Wer auch jetzt gern das neueste Fahrzeug fährt, jedoch kein Problem damit hat, nicht der Eigentümer zu sein, für den wird das Leasing immer mehr zur interessanten Alternative. Inzwischen ist mehr als jedes dritte Auto in Deutschland geleast und der Umsatz der Leasingbranche liegt hierzulande bei 30 Milliarden Euro pro Jahr. Einst insbesondere im gewerblichen Bereich etabliert, interessieren sich mittlerweile auch immer mehr Privatkunden für das Leasing. Im Vertrieb von Leasingfahrzeugen haben die Autohäuser jedoch starke Konkurrenz bekommen. Online-Plattformen wie Leasingtime und Leasingmarkt digitalisieren die Branche, schaffen Transparenz für den Verbraucher und fungieren als Matchmaker zwischen Leasingnehmern und den Autohäusern oder Herstellern. Die digitalen Vorreiter ziehen jedoch nicht nur das Interesse vieler Verbraucher, sondern auch das großer Investoren auf sich. Leasingmarkt etwa gehört mittlerweile zu Autoscout24 und darüber zu Hellman Friedman, einem Private-Equity-Unternehmen mit Hauptsitz in San Francisco und einem verwalteten Beteiligungsvermögen von 49 Milliarden US-Dollar. Mit der Digitalisierung der riesigen Automobilbranche lässt sich also gutes Geld verdienen.
Maximale Flexibilität: Auto-Abonnements etablieren sich
Neben dem Leasing tummeln sich junge Unternehmen in der Automobilbranche auch noch in einem anderen, wesentlich neueren Segment: dem Auto-Abonnement. Mit Cluno, Faaren oder Vive la Car sind in den letzten Jahren einige Anbieter entstanden, die ihren Kunden maximale Flexibilität versprechen. Übliche Leasing-Verträge haben zwar nur eine Laufzeit von zwei bis vier Jahren, doch manchem ist auch das zu lang. Immer mehr Menschen wünschen sich, jederzeit das genau zu ihren wechselnden Anforderungen passende Fahrzeug zu haben – im Sommer ein schnittiges Cabrio, im Winter einen praktischen SUV oder für den Familienurlaub einen geräumigen Kombi. Das Auto-Abo macht es möglich. Dabei handelt es sich um eine monatliche Flatrate, die Nutzer bezahlen und im Rahmen derer sie häufig ganz nach Bedarf das Fahrzeug wechseln können. Die Kosten pro Monat liegen zwar auf den ersten Blick höher als beim Leasing, jedoch sind beim Auto-Abo alle laufenden Kosten wie Wartung, Versicherung & Co. bereits enthalten – lediglich für den Sprit muss der Abonnent noch selbst aufkommen. Bisher werden hierzulande zwar erst weniger als 100.000 Fahrzeuge im Rahmen eines Auto-Abos genutzt, doch schon 35 Prozent der Deutschen gaben in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey an, dass sie prinzipiell Interesse an diesem Modell hätten. Auch beim Auto zeigt sich also der Trend zur Sharing Economy, bei der es nicht mehr darum geht, selbst etwas zu besitzen, sondern um den möglichst unbegrenzten Zugriff auf genau das richtige Produkt zur richtigen Zeit.
Und sogar die Autohäuser, die zunächst wie die Verlierer der Digitalisierung und Individualisierung in der Automobilbranche aussehen, profitieren vom Boom der Auto-Abo-Startups. Denn die meisten Anbieter setzen für die Vermittlung der Abos auf Autos aus dem Bestand der Autohäuser und kümmern sich um die Vermarktung sowie die komplette Abwicklung des Prozesses. Eine Win-Win-Win-Situation: Die Kunden erhalten ihr individuell passendes Fahrzeug auf Zeit, die Abo-Anbieter expandieren, die Autohäuser bekommen dringend benötigte neue Kunden und erschließen so neue Zielgruppen und Vertriebskanäle. Dass das Geschäftsmodell der Abo-Startups auch bei Investoren gut ankommt, beweisen große Finanzierungsrunden wie z. B. für Cluno. Und auch die Autohersteller haben den Abo-Markt mittlerweile im Visier – gut möglich also, dass sich für die Startups spannende Exit-Potenziale bieten.
Trotz Klimawandel und wachsendem grünen Bewusstsein gehört es für viele Menschen in Deutschland weiterhin dazu, Zugriff auf ein Auto zu haben. Die Automobilindustrie wird also voraussichtlich auch weiterhin eine Multi-Milliarden-Euro-Branche bleiben, muss jedoch die Zeichen der Zeit erkennen und mit passenden Fahrzeug- und Mobilitätsangeboten sowie neuen Vertriebswegen auf die sich verändernden Kundenbedürfnisse reagieren. Beste Voraussetzungen also für Startups, die ihr Ohr am Puls der Zeit haben und neue, individuelle und digitale Angebote schaffen …