Aufgemöbelt: Gesellschaftliche Megatrends verändern die Einrichtungsbranche

Die Möbelbranche galt bis vor nicht allzu langer Zeit als recht vorhersehbar und nicht besonders aufregend. Wenn es der deutschen Wirtschaft gut ging und die Konjunktur brummte, waren auch die Verbraucher in Kauflaune. Und wenn dazu noch das Wetter im Herbst und Winter nicht zum Rausgehen einlud, gab es nichts Schöneres, als den Samstag mit einem ausgedehnten Bummel durch das schwedische Möbelhaus des Vertrauens zu verbringen … auch wenn kolportiert wird, dass dort schon die eine oder andere Beziehungskrise ihren Anfang genommen hat. Doch am Ende waren sich meist wieder alle einig: in ihrer Begeisterung für Köttbullar und Hotdogs ebenso wie in Bezug auf Möbelklassiker von der Stange wie das Billy-Regal, das weltweit sage und schreibe 77 Millionen Mal verkauft wurde. Aber in der nächsten Wohnung, so hört man häufig, wollen sich die Billy-Käufer dann wirklich individueller einrichten …

Bitte nicht von der Stange: Möbel als Spiegel unseres Lebens

… und die Chancen, dass sie es dieses Mal tatsächlich ernst meinen, sind gestiegen – denn es bewegt sich etwas in der Möbelbranche. Übergreifende gesellschaftliche Trends wie Individualisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit verändern auch die Art und Weise, wie wir uns einrichten. Die Wohnung als Rückzugsort, an dem wir ganz für uns sein und eine Auszeit vom schnelllebigen Alltag nehmen können, ist uns nach wie vor wichtig, doch die neue Heimeligkeit hat optisch nichts mehr mit der klobigen Gemütlichkeit von Wohnwand, Couchgarnitur, Fliesentisch & Co. zu tun. Stattdessen bestimmen Schlagwörter wie “Cocooning” (engl. für sich zurückziehen) und “Hygge” (das skandinavische Lebensgefühl von Wohlbefinden und Entspannung) die Einrichtungstrends, und es dominieren klares, minimalistisches Design, helle Farben sowie individuelle Akzente. Letztere sind nicht nur Ausdruck unseres Wunsches nach Selbstentfaltung, sondern immer häufiger auch praktisch notwendig, denn die Anforderungen an unsere Möbel sind spezieller geworden.

Ein Grund dafür ist, dass der einzurichtende Wohnraum immer kleiner wird. Dazu trägt der wachsende Anteil an Single-Haushalten ebenso bei wie die ungebrochene Beliebtheit der Großstädte als Wohnort und die insbesondere dort stetig steigenden Mieten. Hinzu kommt, dass der wenige Platz vielseitiger genutzt wird als früher, denn immer mehr Menschen arbeiten dauerhaft oder zumindest zeitweise von zuhause aus und wollen auch auf kleinem Raum allen Lebensbereichen optimal gerecht werden. Das Resultat ist ein stetig steigender Bedarf an individuellen Möbeln und Einrichtungskonzepten, um Stauraum bestmöglich zu nutzen und die Wohnsituation flexibel an die eigenen Bedürfnisse anzupassen.

Wenn der Kunde selbst zum Designer wird

Die “Eine für alle”-Schrankwand im Standardmaß findet also in immer weniger deutschen Wohnzimmern Platz – stattdessen entstehen Möbel nach Maß heutzutage erst einmal virtuell. Die nahezu flächendeckende Ausstattung der Haushalte mit Computern und Internetanschlüssen und die wachsende Digitalkompetenz in der Bevölkerung führen dazu, dass Verbraucher sich ihre Wunschmöbelstücke immer häufiger von der Couch aus mit Hilfe von Online-Konfiguratoren designen und auf die Vor-Ort-Auswahl und die persönliche Beratung im Möbelhaus verzichten. Mit der weiteren Verbreitung und Nutzung von Augmented und Virtual Reality – wodurch sich die frisch entworfenen Möbelstücke direkt in die eigene Wohnung projizieren lassen, um zu überprüfen, ob sie zum Rest der Einrichtung passen – dürfte sich diese Tendenz noch weiter verstärken und der E-Commerce-Umsatz im Möbelhandel steigen. Bisher haben Online-Händler einen Anteil von 13 Prozent am deutschen Möbelmarkt, doch es werden stetig mehr. Von der Digitalisierung profitieren junge Online-Unternehmen wie der bereits mehrfach über Seedmatch finanzierte Anbieter von Möbeln nach Maß Pickawood, doch auch Platzhirsch Ikea ist der Trend selbstverständlich nicht verborgen geblieben. Deswegen fokussiert sich das Unternehmen nicht mehr nur auf das Filialgeschäft, sondern hat sich mit Konfiguratoren, Online-Shop und Augmented-Reality-Anwendungen wie der App “Ikea Place” zunehmend zum Omnichannel-Händler entwickelt.

Nachhaltigkeit ist in unserem Zuhause angekommen

Doch so modern sich die Branchengrößen bei der Nutzung digitaler Technologien geben – in einem Punkt, der für Konsumenten ebenfalls immer wichtiger wird, tun sie sich schwer: beim Thema Nachhaltigkeit. Das wachsende Umweltbewusstsein in der Gesellschaft wirkt sich auch auf die Bereiche Wohnen und Einrichten aus, es wird Wert auf eine faire und nachhaltige Produktion sowie die Verwendung von umweltfreundlichen Materialien gelegt. Zwar versucht sich auch Ikea mit Initiativen wie “Zweite Chance” zu positionieren und ermöglicht es Kunden, gut erhaltene Möbelstücke zurückzubringen und im Gegenzug einen Teil des Kaufpreises in Form eines Einkaufsgutscheins zu erhalten – doch immer mehr Verbraucher stellen angesichts des schnellen und billigen Konsums, den der Branchenprimus propagiert, die Frage, wie glaubwürdig Vorstöße wie dieser sind. Second-Hand-Käufe sowie Upcycling, also die Nutzung bereits vorhandener Materialien und Möbelstücke, um daraus etwas Neues zu schaffen, werden stattdessen immer beliebter. Das wachsende ökologische Bewusstsein bietet jedoch auch Chancen für nachhaltige Möbelunternehmen wie z. B. Grüne Erde oder 4betterdays, die auf natürliche Materialien, heimische Hölzer sowie eine Fertigung in Europa ohne lange Transportwege setzen.

Die sonst eher träge Möbelbranche wandelt sich also langsam – und es entstehen Potenziale auch für junge Unternehmen, die auf Kundenbedürfnisse hören sowie konsequent digital und nachhaltig agieren. So werden wir zukünftig sicher häufiger mit Stolz auf unsere selbst entworfenen, individuellen und langlebigen Möbelstücke blicken, statt uns daran zu stören, dass unsere Einrichtung nicht nur austauschbar wirkt, sondern aus Qualitätsgründen tatsächlich häufig ausgetauscht werden muss …

1 Comment

  1. Jim
    24. November 2023

    Die Serienfertigung im Möbelbau ermöglicht eine effiziente Produktion großer Mengen identischer Möbelstücke. Durch standardisierte Prozesse und Materialien können Kosten gesenkt und eine gleichbleibende Qualität gewährleistet werden. Serienfertigung erleichtert zudem die Verfügbarkeit und Auswahl für Verbraucher.

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