Der einstige Klimavorreiter Deutschland hat seine Rolle als Klassenprimus verspielt. Seit Januar 2018 ist es definitiv: Die Bundesrepublik wird sowohl ihre selbstgesteckten Klimaziele als auch die von der EU vorgeschriebenen Zielwerte für das Jahr 2020 nicht erreichen. Deutschland müsste bis dahin 14 Prozent weniger CO2 ausstoßen als im Jahr 2005 – dass dies nicht gelingt, liegt vor allem am Verkehr und an der Landwirtschaft, wo der CO2-Ausstoß steigend ist. Um einen Vertragsbruch zu vermeiden, muss Deutschland nun anderen Staaten, die eine positive CO2-Bilanz haben, Emissionsrechte abkaufen. Die große Politik versagt also aktuell beim Klimaschutz – während sich im Kleinen zeigt, was möglich wäre…
Viele Kommunen gehen bei der Energiewende inzwischen eigenständig voran und arbeiten mit großem Innovationsgeist daran, ihren ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. „Wenn sich Staaten beim internationalen Klimaschutz nicht einigen können, müssen vorbildliche Kommunen das Heft in die Hand nehmen, zeigen, dass es geht, zeigen, wie es geht, und auch zeigen, dass es schnell gehen kann. Denn die Zeit läuft uns allen davon“, heißt es in der Broschüre zum Projekt „100ee-Regionen“ des Instituts für dezentrale Energietechnologien.
Über 100 Städte weltweit setzen schon überwiegend auf erneuerbare Energien
Erste Erfolge sind bereits spürbar: So meldete Clean Technica vor einigen Tagen, dass bereits über 100 Städte weltweit ihren Strom- und Wärmebedarf zu mehr als 70 Prozent aus erneuerbaren Energien decken und damit auf dem besten Weg zu einer komplett ökologischen Energieerzeugung sind. Darunter sind große Städte der Industrienationen wie etwa Vancouver, Montreal, Wellington oder Stockholm, aber auch zahlreiche afrikanische und südamerikanische Kommunen. Bereits 40 Städte haben das Ziel der komplett ökologischen Energieerzeugung schon erreicht, darunter zum Beispiel die isländische Hauptstadt Reykjavik oder Basel in der Schweiz.
Auch wenn es noch keine deutsche Stadt in diesen erlauchten Kreis geschafft hat, gibt es hierzulande viele vorbildliche Kommunen, welche die Energiewende auf lokaler und regionaler Ebene vorantreiben. Über 140 von ihnen organisieren sich bereits im Netzwerk „100ee-Regionen“ und haben sich die schrittweise Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien auf 100 Prozent auf die Fahnen geschrieben. Dabei sind sie unterschiedlich weit vorangeschritten: Während die 100ee-Regionen die Vorreiter der regionalen Energiewende mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil erneuerbarer Energiequellen und einem großen regionalen Akteursnetzwerk sind, befinden sich die 100ee-Starterregionen auf einer Vorstufe, wo engagierte Akteure erste Maßnahmen planen und bereits Teile der Energieversorgung ökologisch ausgerichtet sind.
Auf dem Land und in der Großstadt: Vorbildliche Projekte in Deutschland
Wie die Energiewende im ländlichen Raum aussehen kann, zeigt etwa die Energiegenossenschaft Odenwald in Südhessen. In einem Klimaschutzkonzept wurden Maßnahmen ausgearbeitet, die langfristig zur Eigenversorgung mit erneuerbaren Energien führen sollen. Dazu gehören zum Beispiel ein interkommunaler Flächennutzungsplan für Windkraft-Vorrangflächen, aber auch der Fokus auf Energiesparpotenziale in den Unternehmen, die von der Beratung durch das Energie-Effizienz-Netzwerk-Südhessen profitieren können. Der ökologische Fortschritt stärkt auch die Wirtschaft vor Ort: So wurden innerhalb von nur vier Jahren 30 Millionen Euro in regionale Projekte investiert.
Dass die Energiewende nicht nur im ländlichen Raum, sondern auch in Großstädten möglich ist, lässt sich zum Beispiel in Frankfurt am Main beobachten. Die Finanzmetropole hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 95 Prozent der jährlichen CO2-Emissionen einzusparen. Der Weg dorthin führt über eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien. Da dies in einer Großstadt selten aus eigener Kraft möglich ist, strebt Frankfurt eine Stadt-Umland-Kooperation an. Auch in Hinblick auf energieeffizientes Bauen geht die Stadt vorbildlich voran und setzt auf Passivhausbauweise, Kraft-Wärme-Kopplung und modellhafte Sanierungsprojekte.
Die Beispiele aus den Kommunen machen Mut und zeigen, wie viel erreicht werden kann, wenn viele Akteure eine Vision teilen und sich gemeinsam auf den Weg machen, um sie zu verwirklichen. So lobenswert die Anstrengungen der Kommunen sind, bleibt doch zu hoffen, dass die lokalen und regionalen Initiativen bald auch von einer ambitionierten bundesweiten Klimapolitik flankiert werden und Deutschland seinem einstigen Ruf als Klimavorreiter wieder gerecht wird.