Bis zum Horizont und noch viel weiter erstrecken sich die Solarmodule bereits unweit der Provinzhauptstadt Dholera im westindischen Bundesstaat Gujarat. Auf 11.000 Hektar entsteht dort einer der größten Solarparks der Welt. Allein die Dimensionen sind beeindruckend – deutsche Großstädte wie Mainz oder Darmstadt fänden auf dieser Fläche problemlos Platz. Mit einer Leistung von fünf Gigawatt wird der Park zudem so viel Strom produzieren wie zwei große Kohle- oder Atomkraftwerke zusammen. Die Mega-Anlage ist sichtbarer Ausdruck einer Wende in der indischen Energiepolitik: Bis zum Jahr 2022 möchte der Subkontinent Erneuerbare-Energien-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 175 Gigawatt installieren, davon sollen 100 Gigawatt auf die Photovoltaik entfallen.
Eine Entwicklung, die noch vor nicht allzu langer Zeit schwer vorstellbar war, denn Indien gilt eigentlich als Kohleland. Rund 55 Prozent des Energiehungers der wachsenden indischen Bevölkerung wird bisher durch Kohlekraftwerke gestillt, nur rund 10 Prozent durch Solarenergie. Doch es setzt ein Wandel ein: Das Ergebnis einer kürzlich durchgeführten Auktion für speicherbasierte Solarprojekte spricht dafür, dass sich das Verhältnis von Solarenergie und Kohlekraft bald deutlich verschieben könnte. Im Rahmen dieser Auktion erhielten Solarprojekte den Zuschlag für durchschnittlich 4,04 Rupien – umgerechnet 5,2 Cent – pro Kilowattstunde. Bei einer Ausschreibung für Kohlekraftwerke wurde hingegen ein Preis von 4,24 Rupien ermittelt. Die extrem günstigen Preise machen die Solarenergie wettbewerbsfähig und sollten dazu führen, dass künftig noch mehr Projekte im Gigawatt-Bereich in Indien geplant werden. Möglich sind die niedrigen Preise u. a. durch die seit Jahren sinkenden Stromgestehungskosten, d. h. die Gesamtheit aller Kosten, die bei der Stromerzeugung entstehen, sowie durch den Abschluss langfristiger Stromabnahmeverträge, die den Produzenten Sicherheit und finanzielle Planbarkeit ermöglichen.
Entscheidend ist, wie sich das Kohleland China verhält
Dass Kohleverstromung immer unrentabler wird, ist kein rein indisches Phänomen, sondern gilt inzwischen weltweit. In Europa kostet Strom aus großen Solarkraftwerken derzeit zwischen 1,5 und 6 Cent pro Kilowattstunde, Kohlestrom hingegen rund 8 Cent – die hohen Folgekosten durch Klimaschäden und Luftverschmutzung noch nicht mit eingerechnet. In der Konsequenz ging die Kohlestromerzeugung in der EU 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 24 Prozent zurück, in den USA um 16 Prozent und im weltweiten Durchschnitt immerhin um drei Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil der Photovoltaik an der weltweiten Stromerzeugung im vergangenen Jahr um stolze 22 Prozent. Schätzungen der Internationalen Energieagentur zufolge wird sich dieser Trend auch im Jahr 2020 und darüber hinaus fortsetzen. Daher kommt die Carbon Tracker, ein Londoner Think Tank, der die Auswirkungen des Klimawandels auf die Finanzmärkte untersucht, zu dem Schluss, dass Investitionen in Kohlekraftwerke keinen Sinn mehr ergeben. Der Denkfabrik zufolge laufen sie Gefahr, in Anbetracht der Bemühungen zum Erreichen der Klimaziele keine Unterstützung von den nationalen Regierungen mehr zu erhalten.
Entscheidend in Hinblick auf die Verschiebung von der Kohle- zur Solarstromerzeugung dürfte sein, wie sich China verhält. Das Land erzeugt bisher die Hälfte des weltweit produzierten Kohlestroms und damit fünfmal so viel wie der zweitgrößte Produzent, die USA. Zwar ist die ostasiatische Supermacht auch sehr aktiv in der Solarindustrie, dominiert die Herstellung von Solarmodulen und Komponenten und hat in den letzten Jahren die eigene Sonnenstromerzeugung um 27 Prozent ausgebaut – und dennoch: Im Reich der Mitte werden weiterhin auch fleißig Kohlekraftwerke projektiert und errichtet.
In anderen Ländern, die bisher stark auf fossile Energieträger setzten, ist das Umdenken bereits weiter vorangeschritten. So werden etwa in Ägypten oder dem erdöl- und erdgasreichen Katar große Solarparks errichtet und hohe Summen in den Ausbau regenerativer Energie investiert. Dabei gilt es jedoch, viele Herausforderungen zu überwinden. Der Flächenbedarf für die Mega-Solarparks ist groß, was Landnutzungskonflikte heraufbeschwört. Zudem sind die benötigten Flächen nur selten in der Nähe von Ballungsräumen verfügbar, in denen viel Strom verbraucht wird. In der Konsequenz muss die Energie häufig über weite Strecken transportiert werden – das ist aufwändig und teuer, weswegen der Netzausbau in vielen Regionen weltweit hinterherhinkt.
Wer die Solarenergie vorantreiben möchte, wird kreativ
Abhilfe in Hinblick auf den Landnutzungskonflikt kann die Agrophotovoltaik schaffen. Durch die Errichtung vertikal aufgeständerter, bifazialer Module wie etwa jenen unseres Fundings Next2Sun Mounting Systems können Solarstromerzeugung und Landwirtschaft auf ein und derselben Fläche stattfinden. Staaten, die am Meer liegen, jedoch über wenig Platz verfügen, können hingegen auf schwimmende Solaranlagen wie z. B. von unserem Funding Swimsol setzen. Oder aber sie suchen sich Unterstützung von weit her – wie das südasiatische Singapur. Über ein 3.800 Kilometer langes Tiefseekabel soll künftig Solarstrom von einer geplanten Zehn-Gigawatt-Anlage in Nordaustralien in den Stadtstaat transportiert werden, in dem Flächen notorisch knapp sind. Durch das Projekt “Sun Cable” könnte künftig ein Fünftel des Energiebedarfs Singapurs gedeckt werden. Zudem bietet es für Australien eine nachhaltige Alternative zum bisher wichtigen Exportgeschäft für Kohle und Gas. Die Fertigstellung ist für 2027 geplant.
Und auch in Indien werden Regierung und Städte kreativ, wenn es um den Ausbau der Solarenergie geht. Zwar herrscht in den Metropolen aktuell sprichwörtlich “dicke Luft”, Verkehrsabgase und Industrieemissionen machen das Atmen schwer. Doch schon bald könnte die Photovoltaik für bessere Luftqualität sorgen. In der Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt Nagpur in Zentralindien wird Sonnenstrom in Kürze die erste Metrolinie antreiben. Damit sollen 380.000 Fahrgäste pro Tag befördert werden, die sich aufgrund des bisher nicht vorhandenen öffentlichen Nahverkehrs derzeit überwiegend mit eigenen Fahrzeugen durch die Straßen quälen. Für die indische Regierung ist Nagpur ein Vorreiter – denn mittelfristig sollen 100 Städte im Land zu Smart Cities werden und ihren Fokus darauf legen, Energie effizient und sauber zu erzeugen. Der Ausbau der Sonnenenergie in Indien hat seinen Zenit also noch lange nicht erreicht.