Die Atomkraft ist ein Auslaufmodell in Deutschland. Bis 2022 wird auch das letzte der neun noch verbliebenen Kernkraftwerke vom Netz gehen. Was dann bleibt, sind horrende Kosten für den Rückbau der stillgelegten Meiler und die Entsorgung des strahlenden Atommülls. Doch die Atomkonzerne wollen sich aus der Verantwortung stehlen und die deutschen Bürger für ihre Hinterlassenschaften bezahlen lassen.
Wie am Montag nach einem Bericht des „Spiegel“ bekannt wurde, möchten die Versorger RWE, Eon und EnBW ihr Atomgeschäft inklusive aller damit verbundenen Pflichten in eine öffentlich-rechtliche Stiftung überführen. Damit müssten Staat und Steuerzahler mit hoher Wahrscheinlichkeit für die Folgekosten des Atomzeitalters aufkommen. Die Konzerne würden lediglich ihre Rücklagen in Höhe von rund 35 Milliarden Euro in den Fonds einbringen. Im Gegenzug wären sie von ihrer gesetzlichen Pflicht, die Kosten des Atomausstiegs zu tragen, befreit, so das Kalkül der Konzerne.
Atomarer Ablasshandel
Über sechs Jahrzehnte haben die Energieriesen mit der Atomkraft Milliarden verdient. Dabei sind laut Berechnungen des „Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS)“ seit den 50er-Jahren mehr als 200 Milliarden an staatlichen Subventionen in die Atomkraft geflossen. Noch im Jahr 2009 konnten E.on, RWE und EnBW gemeinsam gigantische Gewinne von insgesamt 23 Milliarden Euro verbuchen. Doch mit dem beschlossenen Atomausstieg und dem Voranschreiten der Energiewende ist die goldene Ära der deutschen Atomkraft endgültig vorüber. Das haben die Konzerne erkannt und möchten das sinkende Schiff nun möglichst schnell und kostengünstig verlassen. Durch eine einmalige Zahlung das unliebsame Atomgeschäft mit all seinen Risiken loszuwerden, ist da eine attraktive Chance.
Fonds ist nicht gleich Fonds
Der Ansatz eines öffentlich-rechtlichen Fonds zur Finanzierung des Atomausstiegs ist nicht neu. SPD, Grüne und Linke sowie Organisationen wie Greenpeace haben sich in der Vergangenheit bereits für eine solche Fonds-Lösung ausgesprochen. Allerdings zielt ihr Vorschlag darauf ab, die Rücklagen der Stromkonzerne für den Insolvenzfall zu sichern – nicht darauf, die Kosten der Allgemeinheit aufzubürden und die Konzerne mit einer Art „Atom-Bad-Bank“ aus ihrer Verantwortung zu entlassen.
Mit einem öffentlich-rechtlichen Fond könnten die für den Atomausstieg gebildeten Rücklagen in staatlicher Hand verwaltet werden. Somit würde sichergestellt, dass das Geld zur Verfügung steht, wenn es benötigt wird. Falls die Fonds-Summe für den Rückbau nicht ausreicht, müssten die Konzerne weiteres Kapital nachschießen. Experten halten das für sehr wahrscheinlich. Einer von Greenpeace beauftragten Studie zufolge belaufen sich die anfallenden Kosten auf mindestens 44 Milliarden Euro. Wie viel es endgültig sein wird, ist ungewiss, solange noch nicht einmal die Suche nach einem Endlager abgeschlossen ist. Die angebotenen 35 Milliarden der Atomindustrie sind also aller Voraussicht nach nicht genug – somit ein schlechter Deal für die deutsche Gesellschaft.
Rückbau kostet Milliarden
Die beiden Reaktorblöcke des Atomkraftwerks Biblis gingen Mitte der 70er-Jahre in Betrieb. 2011 wurden sie in Folge von Fukushima zunächst vorübergehend, dann dauerhaft stillgelegt. Frühestens 2016 soll mit dem Abriss der Anlage begonnen werden, der sich laut Plan über einen Zeitraum von 20 Jahren hinziehen wird. Zwischen 500 Millionen bis einer Milliarde Euro wird der systematische Rückbau kosten – pro Reaktorblock. Mindestens 18 Milliarden Euro müssen E.on, RWE, EnBW und Vattenfall in den kommenden Jahren allein für den Abriss ihrer 17 AKWs in Deutschland einplanen. Andere Schätzungen gehen sogar von 50 Milliarden aus. Hinzu kommen weitere Folgekosten, unter anderem für die Entsorgung des atomaren Mülls.
RWE & Co. haben Energiewende verpasst
Im Zuge der Energiewende und des Atomausstiegs haben die Versorger mit drastischen Gewinneinbrüchen zu kämpfen. Erst Anfang März musste RWE einen historischen Verlust von 2,8 Milliarden Euro für das Jahr 2013 verkünden. Vielleicht habe man zu spät mit erneuerbaren Energien angefangen, gab RWE-Chef Peter Terium zu. Nur sechs Prozent des von RWE produzierten Stroms stammten 2013 aus erneuerbaren Energiequellen. Gesamt gesehen liegt ihr Anteil an der deutschen Stromerzeugung aber bereits bei über 25 Prozent. Auch E.on und EnBW musste im ersten Quartal 2014 Umsatzeinbußen bei ihren konventionellen Kraftwerken verschmerzen. Mit der Abstoßung ihrer risikoreichen Atomsparte wollen die Energieversorger sich vor künftigen Milliardenkosten schützen und ihre Position im Strommarkt neu ausrichten.
Konzerne müssen Verantwortung übernehmen
15 Milliarden an Schadensersatz für die Stilllegung der sieben ältesten Reaktoren sowie Rückzahlungen der Brennelementesteuer könnte dem Bund durch Klagen der Stromkonzerne drohen. Auf diese juristischen Forderungen würden die Konzerne nach eigenen Angaben verzichten, wenn die angestrebte Stiftungslösung umgesetzt würde. Von dem Angebot zeigt sich die Politik bislang aber zurecht unbeeindruckt. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) erteilte dem Vorschlag bereits eine klare Abfuhr: „Die uneingeschränkte Verantwortung für den sicheren Auslaufbetrieb, die Stilllegung, den Rückbau und die Zwischenlagerung des Atommülls liegt bei den Energieunternehmen“, betonte Hendricks. Auch bei den Oppositionsparteien sorgte der Vorschlag für Empörung. Wichtig ist, die Konzerne jetzt nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Wer über Jahrzehnte an der Atomkraft verdient hat, sollte am Ende auch seinen gerechten Anteil an der Entsorgung der Altlasten übernehmen.
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