Es war eine ganz besondere Uraufführung, zu der das deutsche Telekommunikationsunternehmen Telekom Ende vergangenen Jahres einlud: Die Konzertbesucher erlebten die unvollendete Sinfonie Nr. 10 von Ludwig van Beethoven, bei der nun erstmals die vorhandenen Skizzen und Fragmente ergänzt wurden, die der Komponist vor 195 Jahren hinterließ. Doch sie stammen nicht aus der Feder eines Komponisten, sondern sind das Werk eines Computers: Eine künstliche Intelligenz (KI) war mit Werken von Beethoven und seinen Zeitgenossen “gefüttert” worden und hatte so den Stil des Kompositionsgenies analysiert und erlernt, um anschließend die Melodien der fehlenden Passagen berechnen zu können. Mit dem Projekt hat die Telekom viel Aufmerksamkeit auf das Thema künstliche Intelligenz gelenkt und aufgezeigt, wie breitgefächert die möglichen Anwendungsfälle sind. Dass diese jedoch noch deutlich disruptiver sein und starke Auswirkungen auf unsere Wirtschaft und das öffentliche Leben haben können, zeigen Entwicklungen etwa in den Bereichen Automatisierung der industriellen Fertigung oder öffentliche Sicherheit, mit denen wir uns in diesem Artikel exemplarisch beschäftigen. Denn Experten zufolge ist eines bereits klar: Künstliche Intelligenz wird der größte Game Changer seit der Verbreitung des Internets sein und bereits in naher Zukunft viele unserer Arbeits- und Lebensbereiche durchdringen und von Grund auf verändern …
Weltweiter KI-Software-Markt wächst bis 2025 jährlich um bis zu 35 Prozent
Doch was hat es eigentlich mit dem allgegenwärtigen Buzzword “künstliche Intelligenz” auf sich? Darunter versteht man die Fähigkeit von Computern bzw. Maschinen, Aufgaben zu lösen, für die ein Mensch denken und intelligent handeln müsste. Dazu zählen etwa Wahrnehmung, Lernen, Abwägen, Entscheidungen treffen oder Planen. Der Unterschied zu “herkömmlicher” Software besteht darin, dass Programmierer nicht mehr exakt vorgeben, wann die Software was tun soll, sondern diese durch ausgiebiges maschinelles Lernen und fortwährende Trainings eine eigene Intelligenz entwickelt und so Fragestellungen und Probleme selbstständig lösen kann. Am Beispiel der Gesichtserkennung bedeutet das, dass das System zunächst mit einer großen Anzahl von Bildern und Informationen (etwa bezüglich Geschlecht und Alter der abgebildeten Personen) gefüttert wird. Anschließend “trainiert” es, selbst Personen entsprechend zu kategorisieren und erhält Feedback, ob die Zuordnung richtig oder falsch war. So verbessert das System nach und nach seine Fähigkeiten und wird intelligent – das heißt, es kann auch bei Bildern von Personen, die ihm zuvor noch nie vorgelegt wurden, das Geschlecht und das Alter zuverlässig erkennen.
Bereits jetzt ist die Nachfrage nach KI-gestützten Anwendungen riesig: Einer Studie des Statista Research Departments zufolge könnte der weltweite KI-Software-Markt von derzeit rund 51 Milliarden auf 126 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025 wachsen – ein jährliches Wachstum von durchschnittlich 35 Prozent. Und auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers erkennt, dass Lösungen auf Basis künstlicher Intelligenz auf dem Vormarsch sind. Durch die Entwicklung KI-basierter Innovationen, wie Chatbots oder digitaler Assistenten, wird ein möglicher Anstieg des deutschen Bruttoinlandsprodukts um 11,3 Prozent oder umgerechnet 430 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 prognostiziert. Die Stimmung in den Unternehmen selbst ist ebenfalls überwiegend positiv: In einer Umfrage des Branchenverbands Bitkom sagten mehr als zwei Drittel aller befragten Unternehmen, dass sie künstliche Intelligenz für die wichtigste Zukunftstechnologie halten. In diesem Sinne plant jedes vierte Unternehmen bereits KI-Investitionen.
Dank künstlicher Intelligenz: Fehlererkennung in der Produktion innerhalb weniger Stunden
Besonders großes Potenzial verspricht künstliche Intelligenz überall dort, wo sich Aufgaben häufig wiederholen bzw. vorhersehbar sind und wo sehr feingranulare Daten und Kennzahlen vorliegen, etwa in der industriellen Produktion. Das deutsche Unternehmen Bosch setzt die Technologie bereits in seinem Halbleiterwerk in Dresden bei der Fertigung von Halbleiter-Chips für Automobilanwendungen ein. Am Standort Reutlingen wurde schon zuvor langjährige Fertigungserfahrung im Bereich der Produktion von Halbleiter-Chips gesammelt. Diese sorgt nun in Kombination mit einem Bosch-eigenen KI-Ansatz für Prozessgleichkeit und Qualitätssicherung im neuen Dresdner Werk. Bei der Produktion kann es zu Defekten und wiederholten Mustern, sogenannten Defektsignaturen, auf den Wafern kommen. Diese gilt es rechtzeitig zu identifizieren, denn nur so lässt sich die Ursache ermitteln und beheben. Bisher dauerte es zuweilen Wochen, bis die Fehlerursache entdeckt wurde – zu lange für den Automobilzulieferer. Durch künstliche Intelligenz lässt sich diese Zeitspanne nun auf wenige Stunden reduzieren und die Defekte und Signaturen werden präzise und zügig erkannt. Doch das ist erst der Anfang. Zukünftig sollen Informationen aus dem Fertigungsprozess eine KI erzeugen, welche die Funktionalität der Fabrikate vorhersagen kann. Man klettert folglich eine Stufe nach oben – von der Fehlerbehebung zur Fehlervermeidung. Doch nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für öffentliche Institutionen ist künstliche Intelligenz eine wichtige Zukunftstechnologie – etwa, wenn es um die Verbesserung der öffentlichen Sicherheit geht. Im baden-württembergischen Mannheim etwa wird ein System für eine verhaltensbasierte Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten getestet. Das intelligente Kamerasystem wertet Bilderströme mithilfe von Algorithmen automatisiert aus, erkennt hektische oder untypische Bewegungen, etwa Schlagen, Rennen oder Fallen, und alarmiert in diesen Fällen die Polizisten. Wichtig dabei: Das System hilft den Beamten lediglich dabei, das Material aus den verschiedenen Datenquellen schneller und effizienter auswerten zu können. Die Entscheidung darüber, ob es sich um einen sicherheitsrelevanten Vorfall handelt und ob eine Streife ausrücken muss, trifft weiterhin ein Mensch. In Mannheim ist man zufrieden mit den bisherigen Ergebnissen, und auch aus Datenschutzsicht gibt es keine Bedenken gegen das Projekt, da kurze Löschfristen für das Videomaterial sowie ein Schutz privater Bereiche durch Verpixelung gewährleistet sind.
In der industriellen Produktion, der öffentlichen Sicherheit oder gar wie eingangs beschrieben in Kunst und Kultur: Die Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz künstlicher Intelligenz bieten, sind riesig – und wir haben gerade erst begonnen, sie zu verstehen und auszuloten.
Auch Branchen, die auf den ersten Blick nur sehr schwer mit technologiegesteuertem Handeln in Einklang zu bringen sind, können durch KI einen deutlichen Wettbewerbsvorteil erlangen. So zum Beispiel die Modebranche. In unserem Startklar-Podcast haben wir mit der Gründerin Anna Franziska Michel über ihr preisgekröntes Startup YOONA Technology gesprochen, das mit künstlicher Intelligenz und Augmented Reality schon heute Kunden wie VAUDE, Gerry Weber und Puma dabei hilft, die Designprozesse nachhaltiger, effizienter und kundenorientierter zu gestalten:
Ob wir bereits in wenigen Jahren mit selbstfahrenden Autos unterwegs sind und ganz selbstverständlich Seite an Seite mit Robotern arbeiten – wir wissen es noch nicht. Doch eines ist sicher: Künstliche Intelligenz wird uns in immer mehr Lebensbereichen begegnen …