Ob wir wollen oder nicht: Kunststoffe sind Bestandteil unseres Alltags. Bei vielen Produkten, die wir verwenden, wissen wir nicht einmal, dass sie Kunststoffe enthalten. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Erzeugnisse, die wir nahezu jeden Tag in den Händen halten: Kassenbons, Kontoauszüge, Fahrkarten und vieles mehr. Plastik versteckt sich aber auch in unserer Kosmetik, den meisten Spülmitteln und unseren Zahnpasten in Form von Mikroplastik. Polytives, ein Startup aus Jena, hat intensive Forschung in diesem Bereich betrieben und eine Methode entwickelt, um Kunststoff ein wenig grüner zu machen. Geschäftsführer Oliver Eckardt und Geschäftsführerin Viktoria Rothleitner berichten uns von ihrer Forschung, der anschließenden Unternehmensgründung und ihren ideenreichen Zukunftsplänen.
Econeers: Hallo Viktoria und Oliver, vor einiger Zeit gab es bereits eine hitzige Debatte über Weichmacher in Plastik, z. B. in Trinkflaschen, die gesundheitsschädlich sein können. Doch warum sind herkömmliche Zusatzstoffe schädlich bzw. warum werden diese überhaupt noch verarbeitet?
Viktoria: Ein Hauptproblem liegt darin, dass die derzeit genutzten Stoffe häufig sehr klein sind und aus der Polymermatrix, also aus dem Kunststoff heraus wandern können. Sie gelangen an deren Oberfläche und können von dort entweder direkt auf den Menschen oder in die Luft übergehen. Schädlich sind sie dann potenziell, wenn sie etwa eine hormonähnliche Wirkung entfalten oder sich ansammeln oder Ähnliches.
Econeers: Wie kamt ihr auf die Idee, neuartige Zusatzstoffe bzw. Additive für Kunststoffe zu entwickeln?
Oliver: Im Rahmen meiner Promotion wurde zusammen mit einem Industriepartner eine Lösung für ein konkretes Verarbeitungsproblem gesucht. Es ging darum, den sogenannten Polymerschrumpf bei der Verarbeitung einer Gießharzmischung zu verringern. Solche Gießharze sind am Ende auch „nur“ Polymere, also Kunststoffe. Wir konnten dabei nicht nur eine Lösung in Form unserer Materialien finden, sondern auch einen Weg, die Herstellung zu skalieren. Hierin liegt oft die Hürde beim Transfer von der Grundlagenforschung in den Industriemaßstab – und diese konnten wir erfolgreich meistern.
Econeers: Ihr habt bereits vor Gründung eures Unternehmens zwei Patentfamilien angemeldet. Was genau habt ihr patentieren lassen – und wie hilft es euch weiter?
Oliver: Diese Patente entstanden zum einen im Rahmen meiner Promotion und zum anderen während des EXIST-Forschungstransfer-Projektes, das uns bei der Gründungsvorbereitung half. Diese “Vorgründungspatente“ gewährleisten, dass unser Innovationsvorsprung geschützt ist und wurden deshalb auch unmittelbar nach der Gründung in die Polytives GmbH übernommen.
Econeers: Wir würden gern mehr über eure Innovation erfahren. Könnt ihr uns euer Produkt näher beschreiben und könnt ihr sagen, was es von herkömmlichen Zusatzstoffen unterscheidet?
Viktoria: Gern. Unser erstes Produkt ist ein polymerbasierter Fließverbesserer. Das bedeutet, dass wir den Kunststoffverarbeitern einen Kunststoff anstelle eines Fremdstoffs anbieten, mit dem positiver Einfluss auf die Verarbeitungsprozesse genommen werden kann. Man behält die Materialreinheit bei und kann dennoch die Verarbeitungstemperatur reduzieren und Energie einsparen. Das macht unsere Innovation aus: Optimierung von Kunststoffen und deren Verarbeitung durch Nutzung von chemisch identischem Material.
Neben unserem Fließverbesserer sind außerdem zusätzliche Produkte geplant, um weitere mechanische Eigenschaften zu optimieren – etwa das Schrumpfverhalten. Wie Oliver eben schon angesprochen hat, liegen in der Schrumpfoptimierung letzten Endes die Wurzeln der Gründungsidee.
Econeers: Eure innovativen Additive sollen in zwei Drittel aller Kunststoffe eingesetzt werden können. Welcher Markt wird damit direkt angesprochen und welche konkreten Produkte oder Dienstleistungen können davon profitieren?
Viktoria: Dieser Ausblick ergibt sich aus der Tatsache heraus, dass wir mit unserer Herstellungsmethode eine Vielzahl von Kunststoffen verarbeiten und anbieten können. Dadurch sind deutlich mehr als die Hälfte der Standardkunststoffe für uns adressierbar. Ganz konkret sind unsere Produkte interessant für den 3D-Druck-Bereich, für Farben und Lacke (auch das sind häufig Kunststoffe), für Dentalanwendungen, den Spritzgussbereich oder aber auch für Fasern oder den Kosmetikbereich. Wir können dabei für diese Bereiche entweder eines unserer Standardprodukte anbieten, welche wir stetig ausbauen, oder aber eine Tailor-Made-Solution. Dabei widmen wir uns der konkreten Herausforderung unseres Kunden und entwickeln in einem Projekt mit flexibler Laufzeit eine spezifische Lösung. Anschließend können wir das entwickelte Produkt dann skalieren und liefern – alles aus einer Hand.
Econeers: Eure Lösung hat ebenfalls den Vorteil, dass – im Gegensatz zu konventionellen Alternativen – bei der Verarbeitung Energie gespart wird und nicht zuletzt auch die Umwelt geschont wird. Wie funktioniert das und welchen direkten Einfluss hat diese Neuerung auf die Umwelt?
Viktoria: Einen direkten Einfluss unseres Produktes sehen wir beim Punkt Energie, also bei der Wärmeeinsparung und damit auch bei der Einsparung von CO2. Darüber hinaus sind reinere Kunststoffe besser zu recyceln. Dieser Vorteil kommt, neben weiteren, genauso bei den noch folgenden Polytives-Produkten zum Tragen.
Econeers: Euer Unternehmen gibt es erst seit März 2020. Trotz der knappen Zeit habt ihr schon viel erreicht. Was waren bisher eure größten Meilensteine?
Viktoria: Das ist zugleich eine schwierige und doch ganz einfache Frage: Es kommt einem vieles in den Sinn, schon weil die Gründung selbst, nicht zuletzt in genau dieser Zeit, definitiv ein Meilenstein war. Was aber in jedem Fall genannt werden muss, ist die Vergrößerung unseres wunderbaren Teams, der Abschluss unserer ersten Finanzierungsrunde sowie die Fertigstellung unseres ersten Produkts. Darüber hinaus konnten wir einen Partner gewinnen, der uns einen konkreten Marktzugang relevanter Größe ermöglicht. Das alles wurde im vergangenen Jahr außerdem von einigen Preisen und von Platz 15 unter den Top 50 Startups in Deutschland gekrönt. Auf all das blickt man zurück, wenn es mal nicht (gleich) so läuft, wie man es geplant hat. Es findet sich immer ein Weg, wenn man ein konkretes Ziel vor Augen hat.
Econeers: Ihr habt auf eurem Weg auch tatkräftige Unterstützung erhalten. Welche Organisationen waren an eurer Seite und wie haben diese euch vorangebracht?
Viktoria: Neben der Friedrich-Schiller-Universität mit ihrem bereitgestellten Gründerservice hat uns insgesamt das Netzwerk in und um Jena und Thüringen sehr weitergeholfen. Hier sind stellvertretend, wenn auch nicht exklusiv, das ThEx zu nennen. Auch die EXIST-Förderung von Bund und EU, vergeben durch den Projektträger Jülich, war ein wesentlicher Baustein auf unserem Weg und ist es noch. Darüber hinaus haben wir durch unser Netzwerk – neben der bm|t aus Thüringen – einen Corporate Investor gefunden, mit dem uns eine strategische Partnerschaft verbindet, die sich bereits an vielen Stellen ausgezahlt hat. Bei konkreten inhaltlichen Anliegen stand uns außerdem immer das Thüringische Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung (TITK) aus Rudolstadt zur Seite, bei Anliegen zu den äußeren Gegebenheiten ebenso die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) oder auch das TMWWDG. Alle haben jederzeit tatkräftig unterstützt und tun das auch weiterhin. Nicht zuletzt dadurch sind wir da, wo wir heute sind.
Econeers: Gebt uns einen Einblick. Wie viele Mitarbeiter arbeiten hinter den Kulissen und wie ist eure Teamdynamik?
Oliver: Wir konnten unser Team im Laufe des Jahres auf acht Mitarbeitende vergrößern. So haben Viktoria und ich inzwischen eine rechte Hand, die uns mit etlichen Jahren Berufserfahrung im Feld der Unternehmensgründung und -führung bei den alltäglichen Hürden unterstützt und uns den Rücken für die strategische Arbeit freihält. Jedoch wären alle Strategiesitzungen hinfällig, wenn wir nicht entsprechend produzieren und unsere Produktpalette stetig erweitern würden – hierfür haben wir ein starkes Laborteam. Mit diesem entwickelt unsere Forschungs- und Entwicklungsleitung unsere Produkte stets weiter, generiert neue Ideen und setzt diese mit dem Team gemeinsam in die Tat um. Auch kundenspezifischer Input und spezielle Anfragen werden hier mit größter Umsicht evaluiert und integriert – alles, wenn möglich, auf dem kurzen Dienstweg.
Econeers: Durch die Förderung der EU und das Land Thüringen ist es euch nun möglich, den Fokus weiterhin auf Forschung und Entwicklung zu legen. Woran wird aktuell geforscht und was ist eure Vision für die Zukunft?
Oliver: Unsere Vision ist es, dass Additive und Verarbeitungshilfen von Polytives in den meisten Kunststoffen weltweit eingesetzt werden. Wir forschen deshalb stetig daran, unsere Produkte noch besser, sprich effizienter, zu produzieren und so auch immer weiteren Kunden die Vorteile der Polytives Materialien anbieten zu können. An was genau wir aktuell forschen, ist aber noch geheim. Es sei jedoch so viel gesagt: Die Ideen gehen uns so schnell nicht aus.
Econeers: Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit für das Interview genommen habt! Wir sind sehr gespannt, welche innovativen Lösungen in Zukunft aus eurer Forschung den Weg in unseren Alltag finden werden!