Morgens ein Marmeladenbrötchen und dazu eine Tasse Filterkaffee, mittags ein klassisches Drei-Komponenten-Essen mit Fleisch, Gemüse, Kartoffeln und brauner Sauce, abends dann das traditionelle Abendbrot mit Wurst und Käse: Was früher in kulinarischer Hinsicht ein ganz normaler Tag gewesen wäre, wirkt heute angesichts von Chia-Pudding, Superfood Bowls und instagram-würdig angerichteten Avocado-Kreationen völlig aus der Zeit gefallen. Unsere Beziehung zum Essen hat sich verändert: Während Essen bis in die 1950er Jahre hinein vor allem dem Sattwerden diente, hat es sich seitdem zum Distinktionsmerkmal und Gradmesser für Individualität entwickelt. In den 50er und 60er Jahren zeigte man seinen Wohlstand durch volle Teller mit viel Fleisch und anderen hochpreisigen Zutaten; in den 70ern und 80ern wurde die Ernährung dann zum Spiegelbild der eigenen Weltgewandtheit, die Lieblingsgerichte aus den Urlaubsländern wurden nachgekocht und so “exotische” Zutaten wie Knoblauch und Ingwer fanden Eingang in Supermärkte und heimische Küchen.
In der heutigen Zeit, in der materieller Wohlstand im Sinne des klassischen “Mein Haus – mein Auto – mein Boot” zunehmend an Bedeutung verliert und dank gesunkener Flugpreise der Wochenendtrip nach Barcelona oder die Auszeit in Thailand nichts Besonderes mehr sind, werden andere Lebensbereiche genutzt, um zu definieren, wer wir sind. Der Ausspruch “Du bist, was du isst” – ursprünglich ausschließlich auf die körperlichen Auswirkungen der Ernährung bezogen – ist in seiner Bedeutung inzwischen wesentlich vielschichtiger geworden. Gesundheit, Körperbewusstsein sowie ein soziales und ökologisches Gewissen – ausgedrückt auch durch die richtige Auswahl bzw. das bewusste Weglassen bestimmter Lebensmittel – sind die Statussymbole von heute. Das ist selbstverständlich in weiten Teilen eine überaus positive Entwicklung – denn was kann unserem unter Umweltsünden ächzenden Planeten Besseres passieren als Menschen, die darin wetteifern, sich möglichst gesund und nachhaltig zu ernähren? Im Fahrwasser dieser begrüßenswerten Entwicklung sind mittlerweile Food-Megatrends entstanden und haben sich riesige Märkte für Lebensmittel mit stetig steigender Nachfrage gebildet.
Mega-Trends gesund, vegetarisch, bio mit hoher Akzeptanz und Umsatzchancen
Als wichtiger Gradmesser dafür, welche Trends kommen und gehen und worauf sich Lebensmittelindustrie und Gastronomie einstellen müssen, gilt der alljährliche Foodreport des Zukunftsinstituts, eines einflussreichen Think Tanks. Für das Jahr 2018 beschreibt er die Weiterentwicklung bereits seit Jahren bestehender Trends. Den aus ihrer Sicht wichtigsten haben die Forscher “Healthy Hedonism” getauft. Das bedeutet: Insbesondere die Food-Avantgarde in den Großstädten will sich gesund ernähren, gleichzeitig aber auch Spaß am Essen haben. Profiteure dieses Trends sind Angebote aus dem Bereich “gesundes Fastfood” – also schnell zubereitete, vegetarische oder vegane Lebensmittel, die dennoch viel Genuss versprechen – sowie allgemein pflanzliche Produkte. Gemüse entwickelt sich nach Einschätzung des Zukunftsinstituts weg von der oft lieblos zubereiteten Beilage und hin zum Star auf dem Teller oder zum eigenständigen Gericht. “Plant Based Food” ist inzwischen mehr als ein Großstadt-Phänomen – Umfragen zufolge ist in Deutschland mittlerweile jeder Zweite Flexitarier bzw. Teilzeit-Vegetarier und ernährt sich an mindestens drei Tagen pro Woche vegetarisch. Das merkt auch die Lebensmittelindustrie: Der Umsatz mit vegetarischen Produkten stieg im Einzelhandel allein von 2015 bis 2017 um über ein Drittel – von 521 Millionen auf 818 Millionen Euro. Für 2018 wird sogar ein Umsatz von mehr als einer Milliarde prognostiziert. Auch die Nachfrage nach Superfoods wie Chiasamen, Gojibeeren und Avocado oder pflanzlichen Proteinquellen wie Hülsenfrüchten wächst kontinuierlich – in sind Lebensmittel, die nicht nur gut schmecken, sondern als sogenanntes Functional Food zusätzliche Benefits für den Körper mit sich bringen.
Doch während wir vom einen mehr wollen – nämlich mehr Nährstoffe und positive Effekte aus unseren Lebensmitteln – sind wir auf der anderen Seite auch bereit, zu verzichten: Sei es zumindest tageweise auf Fleisch, zum Teil auch ohne gesundheitliche Indikationen auf Laktose, Gluten & Co. oder eben zugunsten von Saisonalität und Regionalität auf Erdbeeren im Winter oder aus Neuseeland importierte Äpfel. Unsere heutige Zeit ist die erste Periode der Ernährungsgeschichte, in der wir sprichwörtlich aus dem Vollen schöpfen können und die Herausforderung darin besteht, sich der eigenen Gesundheit, dem Tierwohl oder der Umwelt zuliebe freiwillig einzuschränken. Dem stehen offenbar viele Deutsche offen gegenüber, denn 83 Prozent achten einer Untersuchung der Lebensmittelzeitung aus dem Jahr 2018 zufolge auf eine gesunde und nachhaltige Ernährung und 79 Prozent geben an, dass ihnen das Thema Nachhaltigkeit in ihrem Leben generell wichtig ist. Die Fragen “Wo kommt mein Essen her? Wie und von wem wird es hergestellt?” werden immer zentraler und im Zuge dessen erleben kleine spezialisierte Fachgeschäfte, Wochenmärkte und Hofläden eine Renaissance. Für alle, denen gesunde, biologisch angebaute und nachhaltig produzierte Lebensmittel wichtig sind, bei denen die Zeit nach Feierabend aber doch nur für den Gang in den Supermarkt nebenan reicht, haben innovative Unternehmen vielfältige Lösungen für Convenience-Food “mit gutem Gewissen” gefunden. Für die großen Konzerne hingegen stellen die aktuellen Trends eine Herausforderung dar, denn mit nachprüfbaren Lieferketten, Transparenz in der Produktion und nachhaltigen Verpackungsmaterialien können sie bisher nur selten punkten.
Lebensmittel einzukaufen ist heute viel mehr als die Erfüllung eines Grundbedürfnisses – es ist eine Lebensstilentscheidung. Wem es gelingt, uns nicht nur eine Packung Nudeln oder ein Fertiggericht, sondern besondere Benefits für uns und unsere Umwelt und damit ein gutes Gewissen zu verkaufen, der wird langfristig profitieren.
14. März 2019
Toller Beitrag! Gerade erst über Google gefunden.
15. März 2019
Hallo Lisa,
vielen Dank, das freut uns sehr!
Viele Grüße,
Kirsten