Frauen gründen immer noch seltener als Männer und dafür lassen sich vielfältige Gründe aufzählen. Bemängelt wird oft das Fehlen weiblicher Vorbilder. Kein Wunder: Die zehn erfolgreichsten Gründer der Welt sind allesamt Männer. Wenn wir an erfolgreiche Unternehmensgründungen denken, kommen schnell Namen wie Bill Gates, Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Elon Musk oder Steve Jobs in den Sinn. Dabei zeigen Personen wie Jessica Alba, Judith Williams oder Lea-Sophie Cramer, dass Frauen genauso in der Lage sind, erfolgreich Unternehmen zu führen.
Wir haben mit Anne Pietag (pr-quadrat) und Lisa Wittig (metaphora GbR), Gründerinnen von XXCHANGE – Das Netzwerk für Gründerinnen in Sachsen – über ihre eignen Erfahrungen, Fragen im Zuge einer Gründung und die Bedeutung des Austauschs mit anderen Frauen im Alltag gesprochen.
Seedmatch: Hallo Anne, hallo Lisa, schön, dass ihr euch die Zeit genommen habt, um über die Gründungssituation von Frauen zu sprechen. Ihr seid die Köpfe hinter „XXCHANGE – Das Netzwerk für Gründerinnen in Sachsen“. Was war eure Motivation, dieses Netzwerk ins Leben zu rufen?
Anne: Bei mir ist es einfach: Ich arbeite als Coach und moderiere Unternehmer-Boards, in denen sich die Teilnehmenden vertraulich gegenseitig beraten. Tatsächlich sind die Unternehmerinnen immer in der Unterzahl, wenn es überhaupt welche gibt. Ich finde, das sollte sich unbedingt ändern. Durch XXChange habe ich schon so viele spannende Frauen mit enormem Potential kennengelernt. Das macht richtig Spaß.
Lisa: Meine Geschäftspartnerin und ich begleiten Unternehmen bei der Etablierung und Stärkung einer zielgerichteten internen Kommunikation. Daher weiß ich natürlich, wie gewinnbringend der Austausch mit anderen ist. In unserer eigenen Gründungsphase hatten wir viele Fragen zu allen möglichen Themen und waren sehr dankbar, wenn wir mit anderen unsere Erfahrungen teilen und voneinander lernen konnten. Wir haben festgestellt, dass Frauen schon noch andere Themen beschäftigen als Männer oder dass sie mehr über diese Themen reden – sei es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Entwicklung von der Selbstständigen zur Unternehmerin oder das notwendige Selbstbewusstsein für die Preisverhandlung. Mit XXChange wollen wir einen Raum bieten, in dem alle Fragen offen besprochen werden, gemeinsam neue Perspektiven geschaffen werden und durch den sich die Unternehmerinnen weiterentwickeln können.
Seedmatch: Nun seid ihr beide selbst Gründerinnen – welche Erfahrungen habt ihr auf eurem Weg der Gründung gemacht? Könnt ihr unsere Leserinnen und Leser kurz mit auf eure persönliche Reise nehmen?
Anne: Meine wichtigste Erfahrung in Sachen Gründung habe ich, neben meiner Selbstständigkeit als PR-Beraterin und heute als Coach, mit einer eigenen Tanzschule gemacht. Ich fühlte mich für alles und jeden zuständig, habe vom Training über die Choreografien, die Kostüme, das Bühnenbild bis hin zu Buchhaltung, Putzen, Musikschnitt einfach alles selbst gemacht. Da wäre eine Runde mit anderen UnternehmerInnen absolut hilfreich gewesen, um zu verstehen, was ich hätte besser machen können. So dauerte meine Erfahrung 8 Jahre. Danach war meine Kraft zunächst zu Ende. Ich möchte die Zeit und die vielen Menschen, die ich kennengelernt und begleitet habe, dennoch nicht missen.
Lisa: Bei mir ist es tatsächlich ähnlich. Ich habe mich mit meiner Geschäftspartnerin vor gut einem Jahr selbstständig gemacht. Zu Beginn waren wir von den vielen Themen, die man abseits der eigenen Expertise bearbeiten muss, sehr herausgefordert. Das fing bei der Marketing- und Vertriebsstrategie an und hörte bei der Finanzierung und Ausarbeitung der ersten Kundenverträge auf. Wir haben uns von Anfang an externe Hilfe gesucht und konnten uns daher schnell auf unser Kerngeschäft konzentrieren. Außerdem hatten wir die Sondersituation einer Gründung während Corona: Wir haben also alle unsere Aktivitäten erst einmal online gemacht. Das war natürlich anstrengend, dafür verfügen wir jetzt über das Know-how, unsere Produkte auch online anbieten zu können.
Seedmatch: Es ist immer noch so: Frauen gründen seltener als Männer. Das verdeutlicht u. a. der Female Founders Report 2021 von Startbase. Wo seht ihr die Gründe dafür?
Lisa: Eine Gründung ist immer mit großer Unsicherheit verbunden. Neben der Frage der Sicherung der finanziellen Existenz muss man bereit sein, Risiken einzugehen, sich von Rückschlägen nicht abbringen zu lassen und den Großteil seiner Zeit in die Unternehmung zu investieren. Ich glaube, viele Frauen sind nicht bereit, dieses Wagnis einzugehen – die Angst zu scheitern, ist einfach sehr groß. Dazu kommt die eigene Familienplanung bzw. die Frage, wie man Familie und Beruf unter einen Hut bekommt. Auch von außen ist der Druck gefühlt auf Frauen höher. So muss man sich nicht nur selbst diese Frage stellen, sie begegnet einem auch immer wieder von Kunden und Investoren. Lange Zeit gab es auch kaum Vorbilder oder gezielte Förderinstrumente. Da sich das gerade ändert, bin ich optimistisch, dass es auch mehr Gründungen von Frauen geben wird.
Seedmatch: Eine Unternehmensgründung wirft jede Menge Fragen auf – welche habt ihr euch gestellt und welche begegnen euch im Austausch mit Gründerinnen am häufigsten?
Anne: Nach wie vor sagen viele Unternehmerinnen mit tollen Ideen nicht von sich, dass sie Unternehmerin sind. Das ist bei den Herren völlig anders. Sie reklamieren den Begriff und die Rolle viel schneller für sich. Und sie finden es attraktiv, Unternehmer zu sein. Frauen sehen sich als Macherin und in erster Linie als Teil ihres Teams. Ich persönlich habe mir bei der Gründung meiner Tanzschule tatsächlich nicht so viele Fragen gestellt, außer denen, die ich wegen Förderungen oder amtlicher Prozesse beantworten musste. Ansonsten war ich überzeugt, dass es klappt und habe einfach losgelegt. Heute gibt es viele Möglichkeiten, sich in Netzwerken umfassend zu informieren, was alles nötig und sinnvoll ist. Ich empfehle, das unbedingt zu nutzen. Mancher Umweg lässt sich vermeiden.
Lisa: Bei mir ist das tatsächlich ganz anders gewesen – ich hatte tausend Fragen im Rahmen der Gründung. Wie Anne war ich von unserer Geschäftsidee überzeugt, aber welche ist die richtige Marketingstrategie, wie setzen wir uns gegen Wettbewerber am besten durch, welche Rechtsform ist die beste für uns und wer macht die Buchhaltung? Und natürlich haben wir uns auch mit der Frage beschäftigt, wie wir uns absichern können, falls wir mit unserer Idee scheitern. Dass sich auch andere Gründerinnen mit diesen Fragen beschäftigen, haben wir in unserem Netzwerk erfahren. Aber natürlich geht es da auch um viele spezifische Fragen, zum Beispiel im Bereich Personalführung.
Seedmatch: Eine Frage an dich, Anne: Wie hilfreich ist dein Engagement bei TAB The Alternative Board, einem Zusammenschluss erfolgreicher UnternehmensinhaberInnen und Führungskräfte, für dein tägliches Business und deine Coaching-Tätigkeiten? Welchen Input kannst du daraus mitnehmen und weitergeben?
Anne: Aus der über 30-jährigen Erfahrungen von TAB weltweit mit UnternehmerInnen, nehme ich ganz viel Know-how und Wissen mit. Was die Moderation von Peerboards angeht, glaube ich tatsächlich, dass wir bei TAB die Königsklasse sind. Jeder fühlt sich in unseren Runden von Anfang an wohl und aufgehoben, jeder bekommt seine aktuellen strategischen Fragen beantwortet, jeder kommt mit seinen Perspektiven und Erfahrungen gleichermaßen zur Geltung. So arbeiten wir auch bei XXChange. Und das bringt neben dem Netzwerken selbst echten Mehrwert, um unternehmerische Ziele zu erreichen.
Seedmatch: Im Zuge einer Selbstständigkeit kommt schnell der Punkt „Finanzen“ auf die Tagesordnung. Woher habt ihr finanzielles Wissen bezogen?
Lisa: Ein guter Ansprechpartner für den ersten Überblick ist die Gründungsberatung. Hier erhält man Antworten auf seine Fragen zu Förderinstrumenten, Krediten, Investoren und anderen Wegen zur Kapitalgewinnung. Danach war für uns die Steuerberaterin die erste Ansprechpartnerin. Da ich mich persönlich auch für die Entwicklung von Finanzmärkten interessiere, habe ich außerdem verschiedene Onlinekurse zu diesem Thema absolviert.
Seedmatch: Wie wichtig ist es eurer Meinung nach, als Gründerin oder Gründer ab und zu einen Perspektivwechsel einzunehmen und in den Austausch zu gehen – zum Beispiel durch Netzwerktreffen?
Anne: Das ist für mich gar keine Frage. Es ist absolut wichtig. Zu hören, dass andere ähnliche Probleme lösen oder schon gelöst haben, Anerkennung zu bekommen, aber auch Unterstützung und wohlmeinenden Zuspruch von Gleichgesinnten – das ist unbezahlbar. Oft steht man als Gründerin gefühlt alleine da, muss weitreichende Entscheidungen fällen, auch zu Themen, die man noch nie zuvor gehört hat. Da ist Austausch ungeheuer wichtig.
Lisa: Da kann ich mich Anne nur anschließen. Der Blick von außen ist unheimlich wertvoll und durch nichts zu ersetzen. Der Vorteil des Austauschs mit anderen GründerInnen ist, dass einen oft dieselben Themen beschäftigen. Man kann von den Erfahrungen anderer profitieren und seine eigenen weitergeben. Das Gefühl, mit seinen Herausforderungen nicht allein zu sein, ist oft schon die halbe Miete.
Seedmatch: Ihr seid beide in Dresden tätig und XXCHANGE spricht Gründerinnen aus Sachsen an – wie seht ihr den Gründungsstandort Sachsen? Gibt es besondere Möglichkeiten und/oder auch Herausforderungen?
Anne: Soweit ich das beurteilen kann, ist Sachsen ein toller Standort für Gründungen. Hier gibt es Universitäten und eine Vielzahl an renommierten Forschungsinstituten. Es gibt Unternehmen, die sich darum kümmern, dass die Verbindung von der Forschung zur Industrie hergestellt wird. Gründer werden begleitet und gefördert. Wie ich neulich erfahren habe, wird es an der TU Dresden bald eine ergänzende Ausbildung zum Thema Gründen geben. Da soll vor allem an praktischen Beispielen geübt werden. Gründen wird damit einfacher und normaler. Das finde ich toll. An individuellen Förderinstrumenten könnte es gern noch etwas mehr geben.
Seedmatch: Was könnte eurer Meinung nach getan werden, um Gründerinnen mehr zu fördern?
Lisa: Aktuell konzentrieren sich die meisten finanziellen Förderinstrumente auf den technischen und MINT-Bereich. Aus meiner Sicht könnte es zusätzlich weitere Förderungen für die „klassischen“ Frauenberufe geben, um den Start in die Selbstständigkeit zu erleichtern. Außerdem würde es sicher helfen, die Erfahrungen erfolgreicher Gründerinnen sichtbarer zu machen und zu zeigen, wie diese die Herausforderungen der Gründung bewältigt haben. Nicht zuletzt hilft es natürlich, mehr Netzwerke wie unseres zu etablieren und zu fördern, um den wichtigen Austausch zu ermöglichen.
Seedmatch: Zum Abschluss: Welches Learning würdet ihr als Female Founder gerne mit anderen teilen?
Anne: Seid selbstbewusst, vertraut in eure Fähigkeiten und tauscht euch regelmäßig mit Gleichgesinnten aus. Unternehmerin zu sein ist ein herausfordernder Job, eine besondere Rolle, eine spannende Art, um Geld zu verdienen. Mit dem richtigen Handwerkszeug gelingt es.
Lisa: Vor allem, wenn ihr am Anfang seid: Traut euch, mit eurem Produkt rauszugehen und haltet durch, auch wenn es eine Weile dauert, euch am Markt zu etablieren. Eure Bemühungen werden sich auszahlen!
Seedmatch: Vielen Dank für eure Zeit!