Klassische Navigationssysteme fürs Auto sind nützlich, doch sie haben einen blinden Fleck. Im ländlichen Raum, wo sich der Straßenzustand und die Befahrbarkeit z. B. jahreszeit- oder witterungsabhängig stark und mitunter schnell verändern können, helfen sie Autofahrern nur bedingt weiter. Für alle, die abseits von Städten, Autobahnen & Co. unterwegs sind, hat das Startup Bareways jedoch eine Lösung entwickelt. Sie gleicht Vorgaben, etwa zum Fahrzeug und zu persönlichen Präferenzen, mit der gewünschten Strecke und allen verfügbaren variablen Umgebungsdaten ab, um die bestmögliche, hochgradig individuelle Route vorzuschlagen. Wir sprachen mit dem Mitgründer und CEO von Bareways, Moritz von Grotthuss (links im Bild, rechts Bareways-CTO Sascha Klement), darüber, wie die Idee entstand, wie die Technologie funktioniert und warum sich das Startup auf Großkunden aus dem B2B-Bereich fokussiert.
Seedmatch: Hallo Moritz, herzlich willkommen zum Interview. Das Konzept von Bareways ist spannend und sehr spezialisiert. Mithilfe von Daten ermittelt ihr die Befahrbarkeit von Straßen. Wie seid ihr auf diese Geschäftsidee gekommen?
Moritz von Grotthuss: Bareways entwickelt datenbasierte Services für Regionen mit suboptimaler sowie sich dynamisch verändernder Straßeninfrastruktur. Dabei ist der Kern von Bareways, dass die Automobilindustrie in den letzten 20 Jahren unglaubliche Innovationen auf den Markt gebracht hat, u. a. Sicherheitssysteme, aber auch E-Mobilität oder das assistierte bzw. teilautonome Fahren. Aber sehr viele dieser Neuentwicklungen werden aktuell nur im städtischen Umfeld oder auf Autobahnen angeboten. Ein wichtiger Grund für diese Einschränkung ist, dass in den Städten und auf Autobahnen eine stabile Infrastruktur gegeben ist, diese sehr genau kartografiert werden kann und äußere Faktoren, wie das Wetter, nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Im ländlichen Bereich ist das aber anders: Bei einem Wetterumschwung, in verschiedenen Jahreszeiten oder bei viel bzw. wenig Verkehr können sich Straßen und deren Befahrbarkeit verändern. Auch spielt es eine größere Rolle, was für ein Fahrzeug ich benutze und wie ich fahren möchte – schnell/sportlich, sicher, möchte ich die Gegend erkunden oder freue ich mich über eine Restaurantempfehlung unterwegs … Diese Vorgaben (Fahrzeug und persönliche Präferenzen) matchen wir mit der gewünschten Strecke und allen verfügbaren variablen Umgebungsdaten, um die bestmögliche, hochgradig individuelle Route vorzuschlagen. Die Technologie von Bareways kann auch dazu genutzt werden, um für E-Fahrzeuge die Reichweite genauer zu berechnen oder teilautonomes Fahren im ländlichen Raum zu ermöglichen.
Auf die Idee von Bareways bin ich Ende 2017 gekommen, als ich auf einer steilen Straße im Thüringer Wald nach Schneefall mit dem Auto hängengeblieben bin und mich fragte, warum das Auto nicht erkennen konnte, dass es bei Schnee den Berg nicht raufkommen würde. Wir, Sascha Klement und ich, brauchten aber noch weitere 18 Monate, bevor die Idee gründungsreif war, wir unsere Jobs kündigen und mit Bareways durchstarten konnten. Dazu muss man ergänzen, dass wir in der gleichen CEO-CTO-Konstellation zuvor schon ein Startup gegründet, entwickelt und 2017 an die französische Valeo-Gruppe verkauft hatten. D. h. wir glaubten bei der Analyse der Geschäftsidee zu wissen, worauf zu achten ist und welche Punkte für einen Erfolg wichtig sein könnten. Auf dieser Basis haben wir Bareways dann im Sommer 2019 gegründet.
Seedmatch: Was genau kann man beim Benutzen eures Navigationssystems erwarten und welche Vorteile bietet es gegenüber bekannten Anbietern wie z. B. Google Maps oder Here?
Moritz von Grotthuss: Die Nutzer der Lösungen von Bareways erhalten viel individuellere Lösungen, da die Datenmenge, die wir in die Routenempfehlungen sowie die Navigation einfließen lassen, deutlich größer und variabler ist als bei der Konkurrenz. Allerdings ist unser Fokus das Routing, d. h. die Wahl der Strecke und der Straßen. Die Navigation, welche die konkrete Fahranweisung sowie die Visualisierung der Karte beinhaltet, kann dann auch von den Standardanbietern gemacht werden. Insofern betrachten wir Navigations-Serviceanbieter wie Here eher als Partner und nicht als Konkurrenz.
Seedmatch: Wie viele Nutzer konnte Bareways bereits gewinnen? Sind das vorrangig Abenteurer, die in der Natur noch abgelegenere Orte entdecken wollen, oder Durchschnittsreisende, die ihre Reiseroute bestmöglich absichern möchten?
Moritz von Grotthuss: Wir haben mehrere Automobilhersteller als Kunden gewonnen, die unseren Routingservice in ihre Fahrerassistenzsysteme mit integrieren – teilweise im Rahmen von Prototypen und Demonstratoren, teilweise aber auch für kommerzielle Anwendungen. Erste Lösungen werden diesen Sommer auf den Markt kommen, wobei Bareways nicht als Marke auftaucht und sichtbar ist, sondern die Anwendungen unter der Brand der Hersteller zu finden sind.
Wir hatten bei der Gründung von Bareways überlegt, ob wir zudem eine eigene App anbieten und damit ins B2C-Geschäft einsteigen sollten, aber wir haben uns dagegen entschieden. Bareways ist ein Automotive-Startup, welches ausschließlich im B2B-Segment unterwegs ist – unsere Kunden sind die Automobilhersteller oder deren Zulieferer, die dann unsere Services in ihre Gesamtlösungen integrieren.
Seedmatch: Automobilhersteller sind nicht die einzige Zielgruppe. Ihr sprecht auch Autobahnbehörden oder Lieferdienste an. Wie geht es in diesem Bereich voran?
Moritz von Grotthuss: Aktuell arbeiten wir an Lösungen für den Individualverkehr, d. h. für normale Autos, wie ihr und wir sie auch fahren. Allerdings gibt es natürlich eine Vielzahl von denkbaren Anwendungen für Flotten oder in der Logistik. Auch Kooperationen im Bereich der dynamischen Infrastruktur sind möglich. Aber wir können als kleines Team nicht alles machen – d.h. im Fokus sind tatsächlich ‘nur’ die Automobilhersteller und deren Zulieferer.
Seedmatch: Die Möglichkeiten, Bareways’ Dienste zu nutzen, sind vielfältig. Wie genau sieht das Erlösmodell eures Unternehmens aus?
Moritz von Grotthuss: Wir lizensieren unsere Datenservices an die Automobilhersteller auf der Basis der Nutzung aus. Das heißt, wir sprechen immer über Subscription-Modelle. Die Lizenzgebühren pro Quartal oder Jahr werden auf Basis der Anzahl der Fahrzeuge, in denen unsere Software läuft, oder alternativ auf Basis der Anzahl der Routen-Abrufe berechnet.
Seedmatch: In eurem Team arbeiten viele Softwareingenieure an der ständigen Weiterentwicklung und Verbesserung von Bareways. Wie profitiert eure Anwendung von der Nutzung künstlicher Intelligenz?
Moritz von Grotthuss: Künstliche Intelligenz ist ja ein Oberbegriff für eine Vielzahl von Methoden. Viele der Technologien, die wir bei Bareways anwenden, kommen aus dem Bereich des Machine- sowie des Deep Learnings. Am Ende geht es darum, dass die Systeme automatisiert in großen Datenmengen Muster (insbesondere Korrelationen) erkennen, hierauf basierend Algorithmen finden und in Echtzeit anwenden können. Insofern arbeiten wir im Kernbereich der künstlichen Intelligenz.
Seedmatch: Gerade in manchen ländlichen Regionen gibt es recht dürftigen Internetempfang. Wie handhabt Bareways dieses Problem?
Moritz von Grotthuss: Wir haben – unterstützt durch eine Förderung der WTSH, dem Förderinstitut des Landes Schleswig-Holstein – im letzten Jahr an einer Lösung dafür gearbeitet. Wir können Regionen ohne Datenempfang erkennen und laden – basierend auf der verfügbaren Datenübertragung vor Eintritt in das Funkloch – die Daten, die notwendig sind, um das Funkloch zu durchqueren, auf die Endgeräte. Wie detailliert diese Datenmenge ist, hängt von der Größe des Funklochs und der verfügbaren Datenrate vor der Einfahrt ab.
Seedmatch: Die Auswertung von Big Data zur Ermittlung von Straßenzuständen und der Befahrbarkeit in den abgelegensten Gebieten ist ein innovatives Konzept. Habt ihr auf dem aktuellen Markt eine aktive Konkurrenz?
Moritz von Grotthuss: Es gibt eine Reihe von sehr großen Unternehmen, welche die Daten, die wir nutzen, vermutlich auch zur Verfügung haben und uns Konkurrenz machen könnten. Aber, nach unserem Wissen, entwickelt davon aktuell keiner vergleichbare Konzepte. Es gibt jedoch eine Reihe von Startups, die ähnliche Ideen hatten oder an Teilbereichen unseres Ansatzes arbeiten. Aber der Markt ist groß, wir sind gut aufgestellt, haben eine Reihe von Patentanmeldungen gemacht, bereits kommerzielle Lizenzverträge abgeschlossen und glauben zu wissen, was wir tun. Konkurrenz ist kein Thema, welches uns schlaflose Nächte bereitet.
Seedmatch: Eine Frage für alle Tierliebhaber: Wenn man sich auf eurer Webseite das Team anschaut, kommt man nicht umhin, euren Hund Elliot als festes Teammitglied zu bewundern. Was ist seine Aufgabe im Arbeitsalltag?
Moritz von Grotthuss: Elliot macht – seit Corona verstärkt – inzwischen sehr viel Homekörbchen und ist leider nur noch selten im Büro. Aber er ist immens wichtig, um bei Mitarbeitern aufgestaute Streicheleinheiten abzubauen, sicherzustellen, dass keine Pizza unter dem Tisch liegen bleibt und der Arbeitsalltag durch regelmäßige Parkrunden zu unterbrochen wird. Das ist gut für seine Blase und hält uns fit.
Seedmatch: Zu guter Letzt wollen wir noch einen Blick in die Zukunft werfen. Auf welche Meilensteine und Vorhaben freut ihr euch besonders?
Moritz von Grotthuss: Die nächsten großen Meilensteine sind natürlich der Launch der ersten kommerziellen Anwendungen. Das bedeutet viel Arbeit für alle, aber auch Nervenkitzel. Denn wir können gar nicht so viel testen, Fehlbedienungen durchspielen und bei der Usability optimieren, wie ein paar hundert (oder tausend oder hunderttausend) User das in ein paar Tagen tun. Auch diese Erfahrung gehört zur Lernkurve dazu. Außerdem wird das Team weiter wachsen, wir werden neue Kunden gewinnen und weitere Use Cases erschließen. Es bleibt spannend!
Seedmatch: Herzlichen Dank für das spannende Interview. Ich wünsche dir und dem Unternehmen weiterhin alles Gute und dass ihr immer auf dem „rechten Weg“ bleibt.