Die Tiefsee, die einen Großteil der Weltmeere ausmacht, wurde von den UN als „Gemeinsames Erbe der Menschheit“ definiert. In den letzten Jahrzehnten gab es zahlreiche Versuche, dieses vollkommen dunkle Gebiet, in dem ein unglaublich hoher Druck herrscht, zu erkunden. Expeditionen in eine Tiefe von 6.000 Meter und mehr sind bislang mit großem technischen Aufwand verbunden. Daher ist ein Großteil der Tiefseegebiete weltweit noch unerforscht. Sicher ist jedoch eines: Neben unzähligen, bislang unbekannten Tierarten, gibt es dort vermutlich Unmengen an Metallen und Mineralien, die für die Industrie von außerordentlicher Wichtigkeit sind, nicht zu vergessen auch große Erdöl- und Erdgas-Vorkommen. Letztere werden zur Stromerzeugung in Deutschland weiterhin genutzt. Daraus entwickelt sich seit einigen Jahren eine Großindustrie rund um den Tiefseebergbau, die sich anschickt, die Schätze der Weltmeere zu bergen. Die Gefahr einer großflächigen Zerstörung ist dabei nicht ausgeschlossen.
Seltene Rohstoffe umgeben uns überall in unserem Alltag
Fossile Rohstoffe und Mineralien sind von enormer Bedeutung für die weltweite Wirtschaft und mit zunehmendem Fortschritt steigt auch der Bedarf an Ressourcen, z. B. in der Elektronik-, der Fahrzeug- oder der Luft- und Raumfahrtindustrie. Für die Herstellung oder den Betrieb alltäglicher Dinge wie Handys, Tablets oder Autos werden diese Rohstoffe weltweit gefördert – meist ohne Rücksicht auf die Menschen und Tiere vor Ort, oder die lokale Umwelt. Da die Rohstoffquellen an Land teilweise erschöpft sind und die Preise für die begehrte Ware immer weiter steigen, will die Industrie nun die Tiefsee zum Abbaugebiet machen.
Blue Mining-Konsortium treibt den Tiefseebergbau voran
Blue Mining – hinter diesem Begriff verbirgt sich ein auf vier Jahre (Februar 2014 – Februar 2018) angelegtes Projekt der EU. Ziel von Blue Mining ist die Erkundung und kartografische Erfassung der Lagerstätten, die Entwicklung von Fördertechniken und die Etablierung von rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen für den industriellen Tiefseebergbau. 19 Industrieunternehmen und Forschungseinrichtungen aus ganz Europa haben sich zu dem sogenannten Blue Mining-Konsortium zusammen geschlossen, darunter auch einige aus Deutschland. Damit handelt es sich um eines der größten Bergbauprojekte am Meeresboden seit Menschengedenken, das die industrielle Ausbeutung der Weltmeere bis zu einer Tiefe von 6.000 Metern vorbereiten könnte.
Die Schätze der Tiefsee sind wertvoll
Die Tiefsee beherbergt vermutlich Unmengen an wirtschaftsrelevanten Schätzen – allen voran so genannte strategische Metalle (auch High-Tech- oder Technologie-Metalle genannt) wie Niob, Tantal, Indium, Rhodium, Osmium und Iridium, die aufgrund ihrer einzigartigen physikalischen Eigenschaften für die Industrie hoch interessant sind. Aber auch andere Rohstoffe wie Gold, Silber, Kupfer, Nickel oder Kobalt schlummern auf und unter dem Meeresboden, z.B. in Form von Manganknollen, kobaltreichen Krusten und polymetallischen Sulfiden. Nicht zuletzt geht es bei Blue Mining aber auch um die Vereinfachung der Offshore-Förderung von Erdöl und Erdgas, die bereits weiter fortgeschritten ist.
Umweltfolgen sind nicht absehbar
Zu den Themen Umwelt- und Artenschutz äußern sich die Befürworter des Tiefseebergbaus zurückhaltend. Ramboll Deutschland, Mitglied im Blue Mining-Konsortium, erklärt auf seiner Website, die Meeresumwelt solle „möglichst wenig beeinträchtigt werden“, und stellt weiterhin fest: „Nach bisherigem Kenntnisstand gehen die Experten […] davon aus, dass der Tiefseebergbau weniger negative Umweltfolgen mit sich bringt als der Bergbau auf dem Festland.“
Eindeutige Folgeschäden noch nach 25 Jahren messbar
Dem entgegen stehen die Erkenntnisse eines einzigartigen Langzeitexperiments, das die weitreichenden Folgen des maritimen Raubbaus bereits nachgewiesen hat: Im Jahr 1989 pflügte eine Gruppe Wissenschaftler im Ostpazifik ein etwa 11 km2 großes Gebiet am Meeresboden um, entfernte die begehrten Manganknollen und wirbelte Sedimente auf, um so die Auswirkungen eines möglichen Tiefseebergbaus auf das marine Ökosystem zu simulieren. Zahlreiche Forscher aus aller Welt untersuchten diesen Ort im Nachhinein und stellten selbst nach 25 Jahren noch eindeutige Folgeschäden fest. So berichtet z. B. Prof. Dr. Antje Boetius, vom Alfred-Wegener-Institut: „Unsere ersten Ergebnisse zeigen, dass das Entfernen der Manganknollen die Verteilung der Organismen am Meeresboden verändert hat. […] Die geochemischen und mikrobiellen Analysen, die wir bereits an Bord durchgeführt haben, zeigen, dass sogar die bakterielle Aktivität in den Pflugspuren geringer als daneben in den ungestörten Bereichen ist.“ An der Untersuchung im Ostpazifik war auch das Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel beteiligt, das ebenfalls Mitglied im Blue Mining-Konsortium ist.
Tiefseebergbau – ein hoch riskantes Unterfangen
Umweltschützer schlagen in Anbetracht des zu befürchtenden Tiefsee-Bergbaus in diesem hoch sensiblen Ökosystem Alarm. So erklärt z. B. die Umweltschutzorganisation WWF: „Der WWF hält den Abbau von mineralischen Rohstoffen in der Tiefsee für ein hochriskantes Unterfangen. Die gigantische Ölkatastrophe durch den Untergang der BP-Bohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko [im Jahr 2010, Anm.d.Redaktion] zeigt, wie schwierig ein zuverlässiger Einsatz auch modernster Technik in der Tiefsee ist – und dort wurde „nur“ in 1500 Metern Tiefe gefördert. Die Ökosysteme der Tiefsee sind oft an extrem konstante Umweltbedingungen gewöhnt. Die ökologischen Folgen einer Ausbeutung können heute noch überhaupt nicht abgesehen werden.“ Daher fordert der WWF ein Moratorium und strenge Regularien für den Tiefseebergbau sowie ein Netzwerk an weltweiten Meeresschutzgebieten, in denen jeglicher Abbau von Bodenschätzen untersagt ist.
Auswirkungen auf die Nahrungskette befürchtet
Greenpeace betont die enorme Bedeutung einer intakten Tiefsee für die weltweiten Naturkreisläufe: „The remote deep and open oceans host a major part of the world’s biodiversity, and are vital for our survival on Earth. The deep sea plays an important role in regulating planetary processes, including regulation of temperature and greenhouse gases. […] Seabed mining poses a major threat to our oceans. All types of seabed mining will kill whatever can’t escape the mineral extraction operations.“ Eine große Bedrohung geht laut Greenpeace von der vom Tiefseebergbau verursachten Licht- und Lärmbelastung und von freigesetzte Giftstoffe, wie z.B. Schwermetallen aus, die sich auf die Fischbestände auswirken und in die Nahrungskette gelangen könnten. Als Alternative fordert die Organisation daher die konsequente Wiederverwertung bereits genutzter Metalle aus Altgeräten. Dieser sogenannte e-waste, wie er z.B. in alten Handys und Laptops zu finden ist, enthält nach Expertenschätzungen 40 bis 50 Mal mehr Rohstoffe, als sich derzeit noch im Boden befinden.
Lizenzen für die Erforschung der Meere
Die Hoheit über alle Vorgänge in der Tiefsee hat die Internationale Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) mit Sitz in Kingston, Jamaika. Sie vergibt Lizenzen für die Erkundung der Meeresgebiete. Die Bundesrepublik besitzt bereits eine solche Lizenz, laut WWF erstrecken sich die deutschen Lizenzgebiete auf ca. 75.000 km2 zwischen Hawaii und Mexiko – eine Fläche größer als das Bundesland Bayern. Man kann nur hoffen, dass die ISA keine Lizenzen für den Abbau von Mineralien oder anderen fossilen Rohstoffen in der Tiefsee vergibt – auch wenn jedes Jahr mehr Länder um genau diese Genehmigungen bitten.
Erneuerbare Energien – eine umweltfreundliche Alternative
Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Erdöl und Erdgas ist langfristig problematisch, denn diese Ressourcen sind teuer und endlich – selbst, wenn neue Vorkommen auf dem Meeresboden erschlossen werden sollten. Hinzu kommen die gesundheits- und umweltschädlichen Emissionen bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen. Im Gegensatz dazu kommen natürliche Ressourcen ganz ohne umweltschädliche Abgase aus, zudem sind Sonne und Wind kostenlos, frei verfügbar und unendlich vorhanden.
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