Morgens im Coffeeshop zum großen Latte Macchiato to go gleich noch einen mit Tomaten und Mozzarella belegten Bagel auf die Hand. Mittags in aller Eile – die Zeit drängt, das nächste Meeting steht an – schnell noch ein Nudelgericht im Becher mit heißem Wasser aufgießen. Und am Abend zwischen Einkauf, Fitnessstudio und Verabredungen mit Freunden noch fix eine Portion fertige Lasagne in der Mikrowelle erwärmen… Unser Alltag ist mittlerweile durchdrungen von Convenience Food, verzehrfertigen Lebensmitteln für jede Gelegenheit, Tageszeit und jeden Appetit. Die negativen Auswirkungen des übermäßigen Konsums von Fertiggerichten auf unsere Gesundheit, die Umwelt und die Entwicklung der Kochfertigkeiten sind sicher den meisten von uns bewusst – doch Hand aufs Herz: Wer hat nicht zuhause eine Notfall-Pizza im Tiefkühlfach? Eine Tütensuppe für alle Fälle in der Büro-Schublade? Und wer war beim großen Hunger zwischendurch noch nicht froh, auf ein fertig belegtes Brötchen vom Bäcker zurückgreifen zu können?
Den meisten Deutschen dürften diese Szenarien bekannt vorkommen, denn der Markt für Convenience Food boomt hierzulande unvermindert. Der Gesamtumsatz der verzehrfertigen Lebensmittel wird für das Jahr 2018 hochgerechnet in der Bundesrepublik knapp 5,8 Milliarden Euro betragen; bis zum Jahr 2021 wird mit einem jährlichen Umsatzwachstum von 2,8 Prozent auf dann 6,3 Milliarden Euro gerechnet. Bereits heute decken Studien zufolge die Befragten 28 Prozent ihres wöchentlichen Gesamtbedarfs an Mahlzeiten mit Convenience Food – mehr als jede vierte Mahlzeit kommt also bereits verzehrfertig aus der Tüte, der Dose oder dem Kühlregal. Schnelligkeit und Bequemlichkeit sind ausschlaggebend – das zeigt auch der Ernährungreport 2017 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, demzufolge 55 Prozent aller Befragten sagen, dass sie großen Wert auf eine schnelle und einfache Zubereitung ihrer Speisen legen. Ziele, die sich nach Meinung vieler Deutscher beim Selbstkochen offenbar nicht erreichen lassen – denn nur noch 39 Prozent aller Umfrageteilnehmer kochen (fast) täglich frisch.
Ernährung ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Lebensphilosophie
Diese Zahlen unterstreichen eine Vermutung, die uns alle beim Gang durch die Supermarktregale bereits beschlichen hat: Unsere Essgewohnheiten haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte zunächst Mangelwirtschaft, günstige und sättigende Lebensmittel wie Kartoffeln und Getreide dominierten den Speiseplan, die möglichst kreative Verwertung alles Essbaren war eine aus der Not geborene Tugend. In den Wirtschaftswunderjahren waren dann auch Fleisch und Gemüse in größerem Umfang verfügbar und erschwinglich, außerdem kamen sukzessive neue, aus heutiger Sicht mehr oder weniger exotische Produkte aus anderen Ländern auf den deutschen Markt. In den Neunziger Jahren begann dann der Siegeszug des Convenience Foods – Tiefkühlpizzen, Tütensuppen & Co. galten zunächst als neu und ungewöhnlich und wurden daher vielfach ausprobiert. Der Bequemlichkeits- und Schnelligkeitsaspekt überzeugte offenbar und sichert den verzehrfertigen Gerichten bis heute hohe Verkaufszahlen, auch wenn sich ihr Image in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hat…
…denn der Spruch “Du bist, was du isst” – ursprünglich ausschließlich auf die Auswirkungen der Ernährung auf Gesundheit und körperliches Wohlbefinden bezogen – ist in seiner Bedeutung inzwischen wesentlich vielschichtiger geworden. Essen hat seine Selbstverständlichkeit verloren und ist mittlerweile zu einer komplexen und höchst individuellen Angelegenheit, einem Distinktionsmerkmal und Gradmesser für den eigenen Lebensstil geworden. Dem Überangebot an Nahrungsmitteln stehen heute vielfach gesundheitlich notwendige oder aus ethisch-moralischen Gründen selbst auferlegte Restriktionen gegenüber. Laktose- und glutenfreie Produkte, die wachsende Zahl vegetarisch oder vegan lebender Menschen, eine stetig steigende Nachfrage nach Bio-Produkten und ein wachsendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit bei der Herstellung, dem Transport und der Verpackung von Lebensmitteln sind nur einige Beispiele dafür. Unsere heutige Zeit ist die erste Periode der Ernährungsgeschichte, in der die Menschen sprichwörtlich aus dem Vollen schöpfen können und die Herausforderung für viele darin besteht, sich der eigenen Gesundheit, dem Tierwohl oder der Umwelt zuliebe freiwillig einzuschränken. Ernährung ist damit im Fahrwasser von Fitnesshype, Foodblogs und #Foodporn auf Instagram sowie als Reaktion auf Lebensmittelskandale, Massentierhaltung und Plastik in den Weltmeeren zum Definitionskriterium für Gesundheit, Fitness sowie verantwortungsbewussten und nachhaltigen Lebensstil geworden.
Ehrliche Produkte aus hochwertigen Zutaten verzeichnen steigende Nachfrage
Wer Wert auf all diese Facetten legt, tut sich heutzutage mit althergebrachten Convenience-Klassikern wie der Tiefkühlpizza oder der Tütensuppe verständlicherweise schwer. Zu qualitativ minderwertig die Inhaltsstoffe, zu intransparent der Herstellungsprozess, zu fettig, salzig und ungesund – die Anforderungen an die Ernährung haben sich im Zuge der oben genannten Trends und Entwicklungen, zwischen Superfoods und Hofladen, Fairtrade und Biosiegeln, abermals verändert. Gleichzeitig ist die Herausforderung, mit immer geringerem Zeitaufwand satt zu werden, jedoch gleich geblieben oder hat sich im jungen, urbanen Umfeld sogar noch verschärft. Heutzutage soll es jedoch nicht nur schnell gehen und sättigen, sondern auch gesund, hochwertig, vitaminreich, biologisch und regional produziert sowie nachhaltig verpackt sein – dafür wird dann auch gern etwas tiefer ins Portemonnaie gegriffen. Eine Herausforderung für die Lebensmittelindustrie, die lange Zeit auf die Maxime “Viel, schnell und billig” gesetzt hat – und gleichzeitig eine Chance für neue Player am Markt, die unabhängig von großen Lebensmittelkonzernen sind und authentisch für handwerklich hergestellte, qualitativ hochwertige, nachhaltige Produkte werben können, die nicht nur sättigen und den Körper mit guten Inhaltsstoffen versorgen, sondern den Käufern gleichzeitig noch ein gutes Gewissen bescheren.
Und während die Branche dies noch austariert, sind schon die nächsten Lebensmitteltrends dabei, sich zu entwickeln und weitere Verbreitung zu finden – von der Rückbesinnung aufs Hyperlokale und Saisonale bis hin zu Insekten als neuem Proteinbringer, von der Wiederentdeckung alter Gemüse- und Getreidesorten bis zu Functional Food, d. h. Lebensmitteln, die mit zusätzlichen Inhaltsstoffen angereichert werden, um positive Effekte auf die Gesundheit zu haben. Wovon wir uns zukünftig ernähren werden? Das ist ungewiss. Nur eines scheint gesichert: Die Antworten auf diese Frage werden höchst individuell ausfallen…