Interview zum Status Quo bei Caramelized

Caramelized Gründer John Grotting

Dass nicht alle Startups und Unternehmen, die mit einer innovativen Idee an den Start gehen, langfristig erfolgreich sein können, ist in einer freien Marktwirtschaft ein normaler Vorgang. Trotzdem ist jeder Einzelfall schmerzhaft: für die Gründer, Mitarbeiter und nicht zuletzt die Investoren. Wir bedauern sehr, dass mit Caramelized ein Startup, dass im November 2012 bei Seedmatch finanziert wurde, seine Insolvenz anmelden musste. Noch arbeitet Caramelized aber an einem möglichen Verkauf.

Ende letzten Jahres wurde der Insolvenzantrag eingereicht und das Verfahren eröffnet. Die 164 Investoren, die Caramelized mit insgesamt 100.000 Euro unterstützt haben, wurden darüber bereits zeitnah informiert. Caramelized hat Kochen zum „multimedialen Erlebnis“ gemacht und professionelle Kochbücher und Video-Tutorials per App auf das iPad gebracht. Nun haben wir mit dem Co-Gründer John Grøtting gesprochen, um Näheres zum Status Quo bei Caramelized zu erfahren.

 

Seedmatch: Hallo John. Kein Schritt ist für einen Gründer schwieriger, als der des Insolvenzantrags. Dass es mit eurer Idee vorerst nicht weitergeht, finden auch wir sehr schade. Wie geht es dir und dem Team momentan?

John Grøtting: Es war ein schwieriger Schritt für uns alle, für das gesamte Team. Caramelized war auch wirklich mein persönlicher Traum: Ich wollte etwas besonderes bauen und glaube immer noch an die Idee. Wir haben auch alle viel Zeit und Geld investiert und wollten einen Weg finden, um die Firma zu retten. Mittlerweile haben alle Gründer aber neue Projekte als Freiberufler gefunden, damit wir Zeit haben zu überlegen, was wir jeweils als nächstes machen.

Caramelized Gründer John Grotting
Caramelized-Co-Gründer John Grøtting

 

Seedmatch: Was ist seit eurem Insolvenzantrag Ende des letzten Jahres passiert, was habt Ihr seitdem noch versucht und wie ist der heutige Stand der Dinge?

John Grøtting: Ich habe viele Gespräche geführt mit möglichen Käufern. Es gab von vielen Seiten Interesse, aber keine konkreten Angebote. Ich bin aktuell im Gespräch mit zwei potentiellen Käufern. Wegen der laufenden Gespräche kann ich keine Details dazu geben.

 

Seedmatch: Warum habt ihr so lange mit der öffentlichen Kommunikation gewartet?

John Grøtting: Weil wir Übernahmegespräche geführt haben und immer noch führen, ist es wichtig, nicht allzu viel gegenüber der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Das wäre auch im Interesse der Seedmatch-Investoren nicht zielführend.

 

Seedmatch: Ein Blick zurück: Mit welcher Vision seid ihr mit Caramelized an den Markt gegangen und was habt Ihr erreicht?

John Grøtting: Wir hatten vor, eine Art „iTunes für Kochbücher“ zu entwickeln. Damit sollten die Nutzer unserer App all ihre Rezepte zentral verwalten können. Das Format haben wir sehr gut entwickelt und viele Verlage und Autoren weltweit von dem Konzept  überzeugt. Am Ende hatten wir 14 Verlage unter Vertrag und ungefähr 100 eBooks. Leider konnten wir nur 20 davon fertig umsetzen. Aber sogar Apple war überzeugt von Caramelized und sie haben uns zweimal im Appstore gefeatured und wir waren ein paar mal im Gespräch mit Apple, auch in deren Werbung gefeatured zu werden. Auch der deutsche Star-Koch Tim Mälzer hat sich wegen der Caramelized-App ein iPad gekauft.

Caramelized Konzept

 

Seedmatch: Was waren – mit etwas Abstand betrachtet – die Gründe, dass es am Ende nicht geklappt hat? Wie hätte man das Geschäftsmodell vielleicht anders aufbauen und stützen können?

John Grøtting: Das ist natürlich nicht so einfach zu sagen, aber wir haben zwei wesentliche Punkte identifiziert, die wir anders hätten machen müssen. Erstens haben wir nicht so viele Ressourcen für die Software-Entwicklung gehabt. Wir haben sehr viel Zeit in die Entwicklung unserer Android-Clients investiert, obwohl es uns letztendlich sehr wenig gebracht hat. Die iOS-Kunden haben eine deutlich höhere Bereitschaft für Apps und deren Inhalt zu bezahlen. Bei unseren Nutzern war sie etwa 20 mal so hoch. Die Zeit hätten wir eher darin investieren sollen, um unseren Produktions-Prozess zu kürzen.

Für unser erstes eBook haben wir 6 Monate gebraucht, für unser letztes Buch 6 Wochen. Wir wussten, dass wir den Prozess auf 4-6 Tage kürzen könnten und müssten. Der mangelnde kaufbare Inhalt für die Caramelized-App war für den Wegfall von Endkunden sehr entscheidend. Zweitens hätten wir mehr Fokus darauf legen sollen alle Bücher mit Video zu bereichern – denn die Nutzer lieben Visual Content und bekommen so das Gefühl, quasi in einer Live-Kochsendung zu sein.

Uns fehlte auch von Anfang an ein Kaufmann im Team. Teil unseres Plan war es neben dem Crowdfunding eine weitere größere Finanzierungsrunde abzuschließen, um diese Position zu besetzen. Dazu ist es leider nie gekommen. Ich bin derjenige mit der Produkt-Vision gewesen und meine Partner haben die technischen Themen besetzt. Wir haben in unseren Bereichen so extrem viel zu tun gehabt und uns fehlte tatsächlich jemand, der sehr selbstbewusst gegenüber Investoren auftreten kann, um uns rechtzeitig eine weitere Finanzierung zu sichern.

Als unsere Finanzen am Ende waren, habe ich mit allen Gläubigern versucht persönlich zu verhandeln. Alle außer ein Gläubiger waren bereit auf 10% ihres Rechnungsbetrages zu verzichten, um die Insolvenz zu vermeiden. Das hätte uns die Möglichkeit gegeben weiter zu machen und uns aus dem Cashflow zu finanzieren. Leider können wir bei solchen Verhandlungen den einzelnen Gläubigern keine unterschiedlichen Konditionen anbieten. Einer der Gläubiger war davon überzeugt, dass ihm ein gerichtliches Verfahren etwas bringen würde und hat das tatsächlich gemacht. Hier habe ich am meisten Diskussionen gehabt und ich habe angeboten volle Einsicht zu unseren Finanzunterlagen zu geben. Das wurde abgelehnt in dem Glauben, dass wir irgendwo Geld versteckt haben. Warum sie das geglaubt haben lag daran, dass sie früher solche Fälle hatten und da durch ein gerichtliches Verfahren ihr volles Geld bekommen haben.

 

Seedmatch: Wie habt ihr die Seedmatch-Investoren über die Situation informiert und wie geht es für diese jetzt weiter? Was bedeutet das Insolvenzverfahren für eure Investoren?

John Grøtting: Wir haben durch Quartalsberichte Transparenz gezeigt und werden natürlich berichten, wenn die Insolvenz mit oder ohne Verkauf abgewickelt ist. Wir setzen aber immer noch alles daran, einen Käufer zu finden.

 

Seedmatch: Gibt es noch eine Chance, für Caramelized und die Investoren etwas zu erreichen?

John Grøtting: Natürlich. Daran arbeiten wir immer noch.

Zum Beispiel bieten wir potentiellen Käufern zwei Optionen an. Erstens können sie alle Assets kaufen und damit machen was sie wollen. Zweitens können mehrere Unternehmen „nicht-exklusive“ Lizenzen kaufen. Das erlaubt jeder Firma ihre eigene Version zu haben mit ihrer jeweiligen Marke. In dem zweiten Fall wären die Kosten niedriger, aber nicht beschränkt auf einer Firma.

 

Seedmatch: Rückblickend: Was hättet ihr anders gemacht? Welche Tipps würdet Ihr mit eurem heutigen Wissen jungen Gründern geben?

John Grøtting: Als erstes würde ich auf so wenig Features wie möglich fokussieren und mich, wenn möglich, jeder Woche mit Endkunden treffen und ihr Verhalten mit unserem Produkt beobachten. Außerdem würde ich die finanziellen Mittel so weit wie möglich nutzen, um die Entwicklung weiter voran zu bringen. Viele denken, dass man viel bezahltes Marketing machen muss, aber es gibt viele gute Beispiele wo man kein Geld für Marketing ausgegeben hat oder nur mit geringen Budgets gearbeitet hat.

 

Seedmatch: Als Unternehmer zu scheitern ist hierzulande, anders als in deiner alten Heimat USA, noch immer mehr ein Makel als ein Ansporn. Welche Erfahrungen hast du in den letzten Monaten in Hinblick darauf gemacht und was würdest du dir wünschen?

John Grøtting: Man muss von solch einer Erfahrung lernen, was man anders hätte machen sollen. Wichtig ist aber, überhaupt erst das Risiko zu akzeptieren und es trotzdem zu versuchen. Ich hätte viel mehr bereut, es nicht versucht zu haben als es zu versuchen und am Ende zu scheitern. Steve Jobs ist das perfekte Beispiel dafür. Er hat Apple gegründet und wurde von seiner eigenen Firma rausgeschmissen. Dann hat er NeXT gegründet, was kein Erfolg war. Erst als er zurück zu Apple kehrte und nachdem er viel von seinen Fehler bei NeXT gelernt hat, konnte er Apple zu einem Erfolg machen.

Alle Gründer sind natürlich von der Situation persönlich sehr stark betroffen und natürlich ist es sehr schwer zu akzeptieren, dass wir unsere Investoren enttäuscht haben. Ihr Vertrauen hat uns sehr viel bedeutet, ebenso dass sie an das Konzept und uns geglaubt haben. Ich bin immer noch überzeugt, dass wir in diesem Umfeld noch sehr viel Innovation sehen werden. Das Kochen ist ein Kernbestandteil unseres Lebens und wir werden es in Zukunft sicherlich noch gesünder, häufiger und vermehrt in Gesellschaft erleben. Vielleicht wird etwas ähnliches wie Caramelized einen Durchbruch erleben und ihr werdet sagen können, dass ihr schon viel eher wusstet, dass solch eine Idee Erfolg haben kann.

 

Seedmatch: John, vielen Dank für das Gespräch!

Caramelized Logo

 

Wir möchten an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass Startup-Investments aufgrund des hohen Risikos nur als Bestandteil eines diversifizierten Portfolios sinnvoll sind. Investoren sollten lediglich einen kleinen Teil ihres zur Verfügung stehenden Kapitals in Startups investieren und nur, wenn sie genug Kapital haben, um langfristig in eine Vielzahl von Startups zu investieren, um so das Risiko innerhalb dieser Investmentklasse zu streuen. Für allgemeine Fragen rund um das Thema Insolvenz haben wir unsere FAQ um den entsprechenden Bereich ergänzt.

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Seit der Gründung in 2011 wurden über Seedmatch bereits 80 Finanzierungsrunden erfolgreich durchgeführt. Anschlussfinanzierungen sind eine wichtige Voraussetzung für Startups, um weiter wachsen und sich am Markt etablieren zu können. In den seltensten Fällen bedeutet eine erfolreiche Crowdfundingrunde eine 100-prozentige Deckung des langfristigen Kapitalbedarfs. Bleiben Anschlussfinanzierungen aus, kann das in Kombination mit weiteren Faktoren den Fortbestand eines Unternehmens negativ beeinflussen.

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