Die Angebote im Internet werden austauschbarer – Doch wie kann man sich als Anbieter beim Kunden im Kopf verankern? Die Lösung: Markenbildung – ein Thema, um das auch Gründer im E-Commerce nicht mehr drum herum kommen. Wieso das so ist und wie es geht? Wir haben für Sie einen Überblick mit Meinungen von Experten und Beispielen aus der Startup-Praxis.
Früher war alles besser. Man wusste noch, dass man beim Bäcker Schmidt nebenan die besten Brötchen zum Frühstück bekam. An Ernas Kiosk um die Ecke gab’s die aktuelle Sportzeitung. Kleidung kaufte man bei Karstadt, Schuhe bei Deichmann oder eben dort, wo man eben gerade am einfachsten und schnellsten hinkam.
Die Welt von heute ist digital. Zeitungen lesen wir online und Kleidung im Internet zu kaufen, ist in Zeiten von Zalando & Co. einfacher als je zuvor: Lieferung bis vor die Haustür, keine engen Anprobe-Kabinen, kostenloser Rückversand – längst droht die Ödnis in Deutschlands Innenstädten, weil wir lieber von der Couch aus ordern, als uns noch in den nächsten Schuhladen um die Ecke zu bewegen.
Das Internet aber folgt dem Gesetz des transparenten Marktes, einer Wunschvorstellung aller Volkswirte dieser Welt: Wenn jeder Nachfrager zu jedem Zeitpunkt vollkommene Transparenz über Angebot, Preis und Anbieter hat, werden Kaufentscheidungen nur noch rational getroffen, so die Theorie. Das Internet kommt dieser Vision näher als jemals ein Instrument zuvor: Preisvergleiche verhindern Preis-Diskriminierung (also, dass ein Produkt für Kunde A mehr kostet als den Kunden B) und Test- und Bewertungsportale sortieren die schwarzen Anbieter-Schafe aus. Das alles gibt es billiger als früher, weil teurer Verkaufsraum und gutes Personal gespart wird, den der Einzelhandel vor Ort finanzieren muss.
Wird mit dem Internet jetzt alles besser?
Das Problem für alle Verkäufer, online wie offline: Die Kundentreue nimmt ab. Wer immer nur Schnäppchen kauft, dem ist der Verkäufer im Grunde egal. Branding ist eine Antwort auf diese Entwicklung. Branding heißt, das eigene Angebot mit einer Marke zu versehen, die dem Kunden signalisiert: „Dieses Produkt ist mehr wert, es hat ein bestimmtes Image, eine Herkunft.“ Die Marke ist der große Trend im Marketing, seit Google-Adwords, A-/B-Tests und Zielgruppen-Aussteuerung die klassischen Offline-Werbeformen wie Plakate in den Innenstädten abgelöst und in ihrer Wirkung übertroffen haben.
Robert Haase, Senior Brand Strategist bei MetaDesign in Berlin, der Agentur, die u. a. das Branding von Volkswagen, Audi und Deutsche Post DHL aktiv mitgestaltet, sagt: „Gerade in der derzeit beliebten Diskussion im E-Commerce ‚Marke vs. Conversion-fixiertes Performance-Marketing‘ sehen wir die Markenorientierung langfristig als monetären Vorteil.“ Zwar bringt das Investieren in Traffic sofortige Wirkung: mehr Besucher, mehr Klicks, mehr Umsätze. Aber: „Dieses ‚Umsatz kaufen‘ klappt nur, solange genügend Ressourcen vorhanden sind. Der Markt dreht sich hier gerade zusehends“, so der Markenberater Haase.
„Nur den ‚Push‘ in den Markt zu erhöhen, sei es durch massive Kommunikation oder Preisdumping, reicht langfristig nicht aus. Der Nachfrage-Pull wird eben nur über nachhaltige Markenarbeit aufgebaut. Zalando und andere gehen heute auch vermehrt in Eigenmarken und versuchen über attraktive Lebenswelten, Kuratierung oder markenprägenden Interaktionsketten die eigene Marke weiter zu entwickeln. Hier ergeben sich in Zukunft einige spannende Geschäftsmodelle”, sagt Haase.
Über die Marke kann man also noch wirklich differenzieren. Großkonzerne schalten heute lieber Imagespots als Produkt-Werbung. Apple beispielsweise bewies mit der Kampagne „Our Signature“, dass nicht mehr iPad oder iPhone im Mittelpunkt stehen, sondern das Gefühl, für das die Marke Apple heute steht – die Freude und Emotion, ein Produkt aus Cupertino zu bedienen.
Branding für Startups – Branding bei „GEILE WEINE“
Auch für Startups ist Branding essentiell: Gerade als noch junges Unternehmen gilt es, bei den ersten Interessenten und Kunden im Kopf zu bleiben. Ist das Angebot austauschbar, wird es sofort wieder vergessen. Tritt das Angebot aber als Marke auf, die hängen bleibt, wird es mit den entsprechenden Attributen im Kopf des Kunden gespeichert.
Ein weiteres Argument für das Branding in der Frühphase nennt Robert Haase: „Das Thema Markenbildung und Positionierung ist gerade für die frühzeitige Besetzung von neuen Marktfeldern und als Signal der strategische Richtung für potentielle Geldgeber interessant.“ Eine starke Marke kann eben auch ein Asset sein.
Kolja Orzeszko ist bei GEILE WEINE, dem neuen Startup bei Seedmatch, in Teilzeit für das Brand Management zuständig und als Gesellschafter engagiert. Wenn er nicht gerade „den passenden Wein für jeden Moment“ verkauft, arbeitet er als Business Unit Director beim Weltkonzern adidas. Dort ist er für eine Produktgruppe mit einem Jahresumsatz von über 700 Mio. EUR verantwortlich. Zu seinen Kernkompetenzen gehören das Produkt- und Brand-Management für global vertriebene Produkte und Marken. Er sagt: „Wir wollen mit GEILE WEINE kein Startup sein, das nur ein kurzes Aufblühen erlebt. Genau da setzt Markenbildung für mich an! Innerhalb dieses immensen Angebots, welches im derzeitigen Markt herrscht, wollen wir, dass Leute sofort verstehen, warum es uns überhaupt gibt, was wir eigentlich genau tun und wie wir unser Geschäft führen.“
Bekannte Beispiele aus der Startup-Welt sind Net-a-Porter.com bzw. das Pendant Mr. Porter, die sich als führender E-Commerce-Anbieter für Luxusmode etabliert haben – optisch hat sich GEILE WEINE von diesen beiden Größen inspirieren lassen, aber auch allgemein geht der Trend bei gehobenen Online-Marken zu einem sauberen, minimalistischen Design mit wenig Farben und starker Typografie. Ein anderes interessantes Startup ist das amerikanische Brillenlabel Warby Parker – auch hier wird zielgruppengerecht das Thema aufgearbeitet.
Wie geht Markenbildung?
Markenbildung ist „mehr als sich nur einen geeigneten Namen auszudenken und ein schönes Logo zu gestalten“, so Kolja Orzeszko. Markenbildung hat für ihn vielmehr mit langfristiger Ausrichtung und echten Werten zu tun: „Ich bin fest davon überzeugt, dass genau die Leute, die du erreichen möchtest, dich wahrnehmen und wertschätzen werden, indem du ihnen zeigst, dass du authentisch bist, dein Produkt Qualität besitzt und nicht nur auf Umsatz getrimmt ist; du dem Kunden einen erstklassigen Service bietest und transparent bist, in dem, was du tust. Denn unterm Strich wollen die Leute wissen, wer hinter einer Marke steht und werden lernen, ihr durch diese schrittweise Beziehung zu vertrauen“, so der Nürnberger.
Genau das ist für ihn der wichtigste Punkt der Markenbildung, gerade im Bereich E-Commerce: Vertrauen. „Das muss erarbeitet werden und passiert nicht über Nacht. Und da der erste Eindruck extrem wichtig ist, beginnt die Markenbildung vordergründig beim Design – was bei GEILE WEINE von sehr großer Bedeutung ist.“
Wie baut GEILE WEINE eine Marke, der man vertraut?
Kolja Orzeszko berichtet, wie GEILE WEINE seine Marke geplant hat und nun umsetzt: „Operativ gehen wir immer von der gesamten Erlebniskette aus, die der Kunde bei GEILE WEINE erfahren soll. Diese soll am Ende einen Eindruck unsere Marke widerspiegeln.“
Die entscheidenden Fragen vor dem Start: „Wo trifft der Kunde auf uns? Was sieht er zuerst? Was für einen Gefühl wollen wir in diesem Moment vermitteln? Was kann man tun, um etwas Unerwartetes, aber Positives zu kreieren?“
Der nächste Schritt sind bei GEILE WEINE „einzeln definierte Elemente im Erlebnisprozess unserer Marke, z. B. Besuch der Startseite, Erhalt der Ware, etc.. Dieses Gerüst besteht noch immer und wird sich so schnell auch nicht mehr ändern. Jedoch verändern sich die einzelnen Inhalte zu diesen Fragen und Stationen ständig und sind die Basis für unser operatives Arbeiten im Bereich Branding. Das reicht von unserem Wein der Woche bis hin zu den Texten auf unserem Blog, um Hintergründe für unsere Marke Leuten näher zu bringen.“
Fazit: Die Marke wirkt – seit jeher, offline wie online. Sie ist Orientierungs- und Qualitätssignal gleichermaßen. Gleichzeitig schafft sie einen für Investoren attraktiven nicht-monetären Vermögensgegenstand. Etliche Startups, vor allem im hochpreisigen Segment, legen viel Wert auf die Marke um diese Signale an Kunden und Investoren auszusenden.
Über den Autor: Jakob Carstens ist Head of Marketing bei Seedmatch und der Schwesterplattform Econeers. Er kümmert sich um die Weiterentwicklung der Plattform Seedmatch, um das Onlinemarketing und natürlich immer auch um die Marke Seedmatch selbst. Erfahrungen im Bereich Branding sammelte er im Brand Consulting bei MetaDesign, Deutschlands führender Agentur für Corporate Design, die unter anderem für Volkswagen, Audi, Deutsche Post DHL und die Bundesregierung arbeitet.