Seedmatch-Geschäftsführer Ranscht: „Für viele Startups wird es jetzt schwieriger, eine Finanzierung zu bekommen“

Die Ausbreitung des Corona-Virus hält die Welt in Atem, die Nachrichten überschlagen sich, täglich kommen neue Einschränkungen des öffentlichen Lebens hinzu. Und auch im Startup-Umfeld rumort es, denn die jungen Unternehmen sind häufig erst dabei, sich am Markt zu etablieren, haben kein großes finanzielles Polster und entsprechend Angst davor, was die nächsten Wochen und Monate bringen werden. Wir bei Seedmatch stehen in Kontakt zu einer großen Anzahl von Unternehmen und konnten uns so in den letzten Tagen ein Bild der Stimmung machen. Im Interview mit Seedmatch-Geschäftsführer Johannes Ranscht sprechen wir darüber, ob es für Startups gerade schwieriger wird, finanzielle Mittel einzuwerben, wie die Crowd sie unterstützen kann – und welche Gebote Crowdinvestoren derzeit beherzigen sollten.

Seedmatch: Hallo Johannes, herzlich willkommen zum Interview. Wir leben in sehr bewegten Zeiten und uns alle treibt gerade die Sorge um die weitere Ausbreitung des Coronavirus um. Neben den medizinischen kommen auch wirtschaftliche Ängste hinzu, denn viele Unternehmen leiden unter der Krise. Wie schätzt du die Lage für Startups und Wachstumsunternehmen ein?

Johannes Ranscht: Es sind extrem unruhige Zeiten, und das bekommen selbstverständlich auch junge Unternehmen deutlich zu spüren. Wer sich noch auf der Suche nach einem tragfähigen Geschäftsmodell befindet, soeben dabei ist, sein Produkt zu lancieren oder eben noch nicht in der Lage war, sich ein solides finanzielles Polster zu erwirtschaften, gerät jetzt in sehr turbulente Fahrwasser. Manche Branchen, etwa die Bereiche Events, persönliche Dienstleistungen oder Mobilität, sind stark betroffen. Es gibt jedoch auch Unternehmen, die bedingt durch die Krise ihre Umsätze aktuell steigern können. So verzeichnet unser Funding Primal State, ein Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln, durch das wachsende Gesundheitsbewusstsein im Moment zum Beispiel einen Aufschwung.

Zudem zeichnen sich gerade Startups durch Innovationsgeist und Agilität aus und sind es gewohnt, sich schnell auf veränderte Umstände einstellen zu müssen. Viele entwickeln auch und gerade jetzt tolle Ideen, stellen ihr Geschäftsmodell um, besetzen Marktlücken und aktuell besonders gefragte Bereiche – ich denke da etwa an Tools für kollaboratives Arbeiten wie etwa Sciflow aus Magdeburg, die jetzt natürlich für viele interessant werden. Wichtig ist, dass die Unternehmen weiterhin den Kopf frei haben für Innovationen – durch gesicherte Finanzierungen, verständnisvolle Gläubiger und unbürokratische staatliche Unterstützung.

Seedmatch: Wird es aus deiner Sicht für die jungen Unternehmen gerade schwieriger, eine Finanzierung zu bekommen?

Johannes Ranscht: Davon gehe ich aus, ja. Viele Investoren werden sich wegen negativer Markterwartungen und Rezessionsangst jetzt erst einmal zurückhalten. Zudem müssen Venture-Capital-Firmen die Liquidität ihrer Portfolio-Unternehmen sichern und halten daher ihr Geld zusammen. Um zu prognostizieren, was passieren wird, lohnt ein Blick auf die Situation während und nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008. Unternehmensbewertungen werden aktuell vermutlich niedriger ausfallen, Finanzierungsrunden verschoben oder kleiner als anvisiert werden, Übernahmen und Exits werden abnehmen und Investoren werden Unternehmen bevorzugen, die bereits Cashflow-positiv sind. Viele Finanzierungen sind außerdem stark von persönlichen Kontakten und vom Netzwerken etwa auf Pitch-Events abhängig, aber da wird ja im Moment verständlicherweise nahezu alles abgesagt. Auch die Reisebeschränkungen treffen Startups, die Investoren aus dem Ausland gewinnen wollten, hart.

Die Situation ist also sehr angespannt, gerade für junge Unternehmen, die ohnehin häufig sehr enge Finanzierungspläne und keine Kreditlinien bei Banken haben, deren Finanzierungsbedarf aber aktuell steigt, um durch die harten nächsten Monate zu kommen. Zwar gibt es Venture-Capital-Firmen wie zum Beispiel Sequoia Capital, die während der Krise 2008 erfolgreich etwa in AirBnB und Dropbox investiert haben und die auch jetzt wieder einen neuen Fonds auflegen, aber das sind meiner Einschätzung nach Ausnahmen.

Seedmatch: Wie kann das Crowdinvesting einen Beitrag leisten, diese drohenden Finanzierungslücken zu schließen?

Johannes Ranscht: Crowdinvesting hat den Vorteil, dass es komplett digital ist. Auch in der aktuellen Situation können also Kampagnen für Fundingunternehmen unproblematisch umgesetzt werden und die Crowd kann wie gewohnt online investieren. Zudem sollten wir uns einmal daran erinnern, wie Crowdinvesting entstanden ist und was es auch heute vielfach noch antreibt – nämlich ein solidarischer Ansatz jenseits von reinen Renditeerwartungen. Gerade auch in schwierigen Zeiten und vor dem Hintergrund unsicherer Situationen, die es bei jungen Unternehmen immer geben kann, steht die Crowd zusammen und fördert gemeinsam Innovationen mit gesellschaftlichem Nutzen. Das geht zudem schnell, unbürokratisch, kostengünstig und ohne finanzielles Risiko, da die Unternehmen der Plattform nur dann eine Provision bezahlen, wenn die Kampagne erfolgreich war. Damit haben wir den versprochenen Krediten von der KfW und anderen staatlichen Hilfen einiges voraus, denn wie diese beantragt werden, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen und wann sie tatsächlich ausgezahlt werden können, kann derzeit noch keiner absehen.

Seedmatch: Egal ob regelmäßiger Crowdinvestor oder Neuling: Viele Menschen sind angesichts der drohenden wirtschaftlichen Folgen des Virus gerade unsicher, ob sie aktuell in junge Unternehmen investieren sollten. Eine verständliche Sorge?

Johannes Ranscht: Natürlich ist das angesichts der aktuellen Lage verständlich. Crowdinvesting ist ein Hochrisiko-Investment und sollte jederzeit gut überlegt sowie das Risiko durch eine breite Streuung des Portfolios gesenkt werden – das gilt derzeit nur umso mehr. Unsere Crowdinvestoren können sich jedoch weiterhin auf die strengen Auswahlprozesse bei Seedmatch verlassen. Auf die Plattform kommen nur Unternehmen, deren Geschäftsmodell innovativ sowie skalierbar ist, deren Finanzkennzahlen unserer Überprüfung standhalten und deren Gründerteam überzeugt. Das alles trägt dazu bei, dass wir eine für Startup-Verhältnisse sehr niedrige Ausfallquote haben – niedriger als der Durchschnitt bei jungen Unternehmen unabhängig von der Finanzierungsform und auch als die Ausfallquoten anderer Crowdinvesting-Plattformen.

Seedmatch: Auf der Suche nach Investmentoptionen erscheint vielen derzeit die Börse naheliegend, denn Aktien, ETFs & Co. können aufgrund der sinkenden Kurse gerade günstig nachgekauft werden …

Johannes Ranscht: Der Blick in Richtung Börse ist selbstverständlich naheliegend, und letztendlich kommt es ja ohnehin auf eine gesunde Mischung an. Wir raten unseren Crowdinvestoren zu einer Diversifizierung ihres Portfolios über mehrere Assetklassen hinweg, empfehlen also sogar, dass sie neben Crowdinvesting auch auf Aktien, ETFs & Co. setzen. Gleichzeitig ist die Lage an den Börsen jedoch aktuell sehr turbulent, es gibt ein ständiges Auf und Ab und gerade unerfahrenere Anleger könnte das schnell verschrecken und zu hektischem Hin und Her statt einer langfristigen Strategie verleiten. Das ist aus meiner Sicht eine Gefahr, denn zahlreiche Studien haben gezeigt, dass sich Markettiming für Privatanleger mit längerem Anlagehorizont in der Regel nicht lohnt, sondern häufiges Kaufen und Verkaufen nur die Nebenkosten des Investierens in die Höhe treibt, was wiederum die Rendite deutlich schmälert. Diese Nebenkosten des Investierens gibt es beim Crowdinvesting nicht – jeder investierte Euro fließt 1:1 in ein junges Unternehmen und trägt dazu bei, Rendite zu erwirtschaften.

Seedmatch: Welche Empfehlungen hast du derzeit für Crowdinvestoren?

Johannes Ranscht: Ich empfehle, soweit das möglich ist – wenn also Gelder nicht aufgrund einer absehbaren Verschlechterung der eigenen wirtschaftlichen Situation derzeit anderweitig gebraucht werden – die eigene Anlagestrategie als langfristig anzusehen und fortzuführen, statt sich verunsichern zu lassen und sie über den Haufen zu werfen. Startup-Investments sind keine kurzfristigen Renditebringer, sondern die Unternehmen benötigen ein paar Jahre, um sich erfolgreich zu entwickeln – dafür ist es aber notwendig, dass sie auch in Krisenzeiten solide finanziert sind und dazu können Crowdinvestoren jetzt einen Beitrag leisten.

Wie immer sollte man natürlich nur Gelder investieren, deren Verlust man sich im schlimmsten Fall “leisten” kann und das Portfolio sehr gut diversifizieren – über Assetklassen hinweg, aber auch innerhalb des Crowdinvestings, indem man auf verschiedene Branchen und Unternehmen setzt. Unsere gemeinsame Studie mit der Universität Oldenburg zur Renditeerwartung beim Crowdinvesting über Seedmatch hat gezeigt, dass bei guter Diversifikation 15 % Rendite p. a. für die Crowdinvestoren absolut realistisch sind – ein Wert, der sich keinesfalls hinter Investments an der Börse verstecken muss, im Gegenteil. Neben Investments in Unternehmen sollten Crowdinvestoren zudem auch nachhaltige Investmentoptionen und solche in Immobilien prüfen, die zum Beispiel über unsere Schwesterplattformen Econeers und Mezzany möglich sind.

Seedmatch: Wie geht Seedmatch mit den Implikationen durch das Coronavirus um? Gibt es Änderungen, die für Nutzer und Fundingunternehmen wichtig sind?

Johannes Ranscht: Der Plattformbetrieb auf Seedmatch sowie den Schwesterplattformen Econeers und Mezzany läuft für unsere Nutzer und Fundingunternehmen ganz normal weiter. Es kann wie gewohnt unkompliziert online in spannende Projekte investiert werden. Unsere Prozesse sind ohnehin digital und weitestmöglich automatisiert, so dass wir kaum Veränderungen vornehmen mussten. Selbstverständlich können unsere Mitarbeiter ortsunabhängig arbeiten und ein Großteil des Teams befindet sich im Homeoffice. Unsere Erreichbarkeiten per E-Mail und telefonisch ändern sich dadurch aber nicht. Wir haben zudem unsere aktuellen Fundingunternehmen gebeten, sich in den Update-Bereichen auf ihren Fundingseiten dazu zu äußern, wie sich die Situation auf ihren Geschäftsbetrieb auswirkt. Dieser Bitte sind die Unternehmen umgehend nachgekommen, so dass wir hier für Investoren maximale Transparenz bieten.

Seedmatch: Vielen Dank für das Interview, Johannes. Wir wünschen all unseren Nutzern und Fundingunternehmen, dass sie gesund durch diese schwierige Zeit kommen!

Johannes Ranscht: Diesen guten Wünschen schließe ich mich an.

 

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