Der Klimawandel ist zu einem Großteil menschengemacht – das ist uns allen mittlerweile schmerzlich bewusst. Eines der größten Probleme ist dabei der fortwährende Überkonsum. In diesem Jahr hatte die Menschheit bereits bis zum 29. Juli alle Ressourcen aufgebraucht, die in einem Jahr nachwachsen können. Zum Vergleich – im ersten Jahr des globalen Überkonsums, 1971, fiel dieser Tag noch auf den 21. Dezember. Alarmierende Zahlen, die Lösungen fordern. Viele Forscher und Startups haben sich mit der Thematik befasst und sagen dem Klimawandel den Kampf an. Der Green Alley Award, der in diesem Jahr zum sechsten Mal in Berlin verliehen wurde, ist Europas erster Startup-Preis für die Kreislaufwirtschaft, der junge Unternehmen und Entrepreneure auszeichnet, die dafür sorgen, die Müll- und Recyclingindustrie, wie wir sie kennen, zu transformieren. Seedmatch als langjähriger Partner stiftete zum zweiten Mal einen Sonderpreis – den Seedmatch Crowd Award. Ausgezeichnet wurde das Unternehmen Flustix für seine Verbrauchersiegel, die Plastikreduktion und Recycling sichtbar machen. Wir haben mit Gründer und Geschäftsführer Malte Biss darüber gesprochen, was sich hinter den Siegeln und dem Zertifizierungsprozess verbirgt, was ihm der Gewinn des Seedmatch Crowd Awards bedeutet und wie er seinen Weg vom Journalismus in die Kreislaufwirtschaft gefunden hat.
Seedmatch: Hallo und herzlich willkommen zum Interview! Ihr seid die Gewinner des diesjährigen Seedmatch Crowd Awards, der zum zweiten Mal im Rahmen des Green Alley Awards verliehen wurde – Glückwunsch! Als einer von sechs Finalisten habt ihr am 17. Oktober in Berlin eure Idee live vor einer renommierten Jury gepitcht. Wir waren vor Ort und von eurem Konzept besonders begeistert. Könnt ihr für unsere Leserinnen und Leser zusammenfassen, wie ihr mit euren Verbraucher-Siegeln unser aller Leben einfacher macht?
Malte Biss: Verbraucher erkennen beim Einkauf sofort und zuverlässig, wo verantwortungsvoll mit Plastik umgegangen wird. Flustix prüft Produkte und Verpackungen auf deren Plastikgehalt. Plastikfreie Waren und Produkte aus Sekundärkunststoffen werden dann mit unseren entsprechenden Siegeln ausgezeichnet. Mit den Flustix-Siegeln wird transparent, ob und wo Plastik verwendet wird. Dadurch bieten wir Verbrauchern eine zuverlässige Orientierung beim plastikreduzierten Einkauf, schonen die Umwelt und helfen gleichzeitig innovativen Wirtschaftsakteuren, ihr nachhaltiges Handeln in puncto Plastik zu kommunizieren.
Seedmatch: Viele der Finalisten des Green Alley Awards versuchen, das Plastikproblem an der Ursache zu bekämpfen und entwickeln plastikfreie oder wiederverwendbare Alternativen. Ihr hingegen setzt da an, wo die meisten aufhören, und versucht, den Verbrauchern den Weg in eine plastikfreie Zukunft zu erleichtern. Wie kam euch die Idee zu Flustix?
Malte Biss: Der Gedanke, etwas zu bewegen, kam mir schon früh. 2011 habe ich, damals noch als Journalist, auf der 17. UN-Klimakonferenz in Durban Fürst Albert II. von Monaco wiedergetroffen. Im Gespräch sagte Fürst Albert zu mir: „Malte, die Umsetzung von Umweltthemen kann beschleunigt werden, wenn sie zu Wirtschaftsthemen werden. Wenn die Wirtschaft eine Chance darin sieht, dann verändert sich wirklich etwas.“ Seitdem wuchs die Siegel-Idee in meinem Kopf. Im Oktober 2016 – nach 16-jähriger Tätigkeit als Journalist – hängte ich meinen Job an den Nagel und widmete mich vollends der Entwicklung eines solchen Umweltsiegels.
Seedmatch: Der Green Alley Award ist Europas erster Startup-Preis für die Kreislaufwirtschaft, der von Seedmatch bereits seit 2014 unterstützt wird. Inwiefern trägt Flustix dazu bei, die lineare Abfallwirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft zu transformieren?
Malte Biss: Uns geht es darum, gemeinsam mit der Wirtschaft Änderungen anzustoßen. Wir helfen Verbrauchern, einfache, transparente und nachhaltige Kaufentscheidungen zu treffen. So vermeiden wir langfristig Plastikmüll, bevor dieser entsteht, da bereits bei der Produktion verantwortungsvoll auf Plastik verzichtet wird. Das ist ein großer Schritt in eine funktionierende Kreislaufwirtschaft, denn Vermeidung steht vor Verwertung. Andere Materialien können wesentlich einfacher recycelt oder kompostiert werden als Kunststoffe. Bei Papier, Glas und Metall erreichen wir über 90 Prozent Recyclingquote. Um eines Tages auch bei Kunststoffen solche Quoten zu erreichen, zeichnen wir jetzt schon mit unserem Recycled-Siegel Produkte aus, die auf recycelte Kunststoffe setzen. Besonders für Waren, die nicht auf Kunststoffe verzichten können und dennoch einen Beitrag für den Umweltschutz leisten wollen, ist Flustix Recycled die optimale Lösung, um die Kreislaufwirtschaft zuverlässig zu fördern.
Seedmatch: Ihr bietet fünf unterschiedliche Siegel, sog. Trustmarks, an. Warum fünf und wie unterscheiden sich diese?
Malte Biss: Wir bieten mit den unterschiedlichen Siegeln dem Verbraucher ein Maximum an Transparenz und schaffen für Unternehmen Anreize, umzudenken und umzustellen. Die einzelnen Flustix-Siegel zeichnen das plastikfreie Gesamtprodukt, die kunststofffreie Verpackung, wie z. B. für Handys oder Computer, plastikfreie Produktinhalte, die steril in Plastik verpackt sein müssen, und Produkt-Inhalte ohne Mikroplastik – darunter Kosmetika und/oder Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel – aus. Manche Produkte müssen aufgrund von Regularien mit Kunststoffen verpackt werden, zum Beispiel Lebensmittel oder medizinische Produkte. Uns ist daran gelegen, so viel unnötig verwendetes Plastik wie möglich zu vermeiden. Aus dem Grund haben wir die unterschiedlichen Siegel entwickelt, damit in allen Bereichen Kunststoffe eingespart werden können. Dort, wo Plastik Sinn macht oder von Gesetzes wegen her vorgeschrieben ist, soll der geniale Werkstoff gerne zum Einsatz kommen, aber bitte im Kreislauf gehalten werden. Auch recyceltes Plastik kann mit dem Flustix Recycled-Siegel nachvollziehbar ausgezeichnet werden. Denn neben der Vermeidung möchten wir den Recyclingprozess des bereits bestehenden Plastiks(-mülls) fördern.
Seedmatch: Wie erfolgt denn die Vergabe eurer Siegel und wie läuft der Zertifizierungsprozess ab?
Malte Biss: Der Prozess für die vier Plastikfrei-Siegel funktioniert wie folgt: Lizenzinteressenten reichen je zwei originalverpackte Produkte bei Flustix und dem akkreditierten Prüflabor WESSLING ein. Flustix prüft die Produkte unter ethischem und ökologischem Aspekt, die WESSLING-Experten unter analytischem Aspekt. Passen alle drei Faktoren, werden die Artikel dann mit den aktuellsten Analyseverfahren der Labortechnik auf Kunststoffe analysiert. Die Untersuchung und das Ergebnis dienen schließlich unserem Logo- und Lizenzpartner RAL e. V. als Entscheidungsgrundlage für die Vergabe der Plastikfrei-Siegel.
Beim Flustix Recycled-Siegel werden nach Antragstellung des Lizenzinteressenten ein oder mehrere Vor-Ort-Audits durchgeführt, denn den Einsatz von Rezyklaten kann man nicht analytisch feststellen. Anschließend verfolgt unser Partner DIN CERTCO den Materialstrom vom Müll bis zur Produktion des Neuproduktes nach und unterzieht die Ergebnisse der Audits einer Konformitätsprüfung. Abschließend vergibt unser Zertifizierungspartner DIN CERTCO das Flustix-Zeichen.
Seedmatch: Bei eurer Zertifizierung seid ihr besonders streng – im Gegensatz zu einigen Konkurrenten schließt ihr beispielsweise Bioplastik aus. Warum?
Malte Biss: „Plastikfrei“ bedeutet bei uns genau das, was es sein sollte: plastikfrei. Bei Flustix vermeiden wir Verwirrung im Siegeldschungel und Greenwashing durch die Verwendung von Alternativbegriffen. Bioplastik hat die gleichen immensen Vor-, aber auch Nachteile wie alle anderen Arten von Plastik. Expertenkreise, Ministerien wie auch das Umweltbundesamt sehen in Bioplastik keine Alternative. Wir haben bald auf der Erde jede Menge Menschen satt zu bekommen. Da sollten wir bestehende Ackerfläche anders nutzen als zur Herstellung von Plastiktüten oder ähnlichem.
Seedmatch: Ihr habt 2017 eine Studie bei Kantar TNS in Auftrag gegeben. Dabei kam unter anderem heraus, dass 92 % der Verbraucher denken, dass Produkte und Verpackungen zu viel Plastik enthalten, und dass jeder Dritte für einen reduzierten Kunststoffanteil in Produkt oder Verpackung sogar einen höheren Warenpreis akzeptieren würde. Das spricht für euer Konzept – aber wie überzeugt ihr die Produzenten, Flustix-Siegel zu verwenden?
Malte Biss: Das Thema Plastiknachhaltigkeit ist beim Verbraucher längst angekommen. Und die Wirtschaft hat das auch erkannt. Der Handel nutzt das Thema bereits auf allen Ebenen. Jetzt gilt es, die Versprechen überprüfen zu lassen und zuverlässig zu kommunizieren. Das geht nur mit Flustix, denn wir sind das einzig seriöse Zeichen zum Thema Plastik-Nachhaltigkeit, wie es unabhängige NGOs und Verbraucherverbände bereits festgestellt haben. Flustix macht aus Plastik-Reduzierung keinen Malus, sondern einen Bonus für Handel und Produzenten. Mit Flustix können sich alle, die nachhaltig handeln, positiv am Markt, am POS und somit bei Konsumenten positionieren.
Seedmatch: Welche Produkte sind bereits mit euren Siegeln gekennzeichnet?
Malte Biss: Produkte aus jeder Branche können sich für eine der Flustix Plastikfrei-Zertifizierungen qualifizieren. Produktkomponenten wie Verpackungen oder Inhalte lassen sich bei uns separat überprüfen und kennzeichnen. Aktuell tragen diverse Produkte der Kosmetik-, Lebensmittel-, Geschirr- und der Reinigungsbranche das Flustix-Siegel, viele weitere sind in der Prüfung oder bereits im Zertifizierungsprozess.
Seedmatch: Flustix-Siegel richten sich praktisch an alle kritischen Verbraucher, also eine denkbar breite Zielgruppe jeden Alters, und kennzeichnen Produkte unterschiedlicher Branchen. Was bedeutet es für euch – besonders vor diesem Hintergrund – die Gewinner des diesjährigen Seedmatch Crowd Awards zu sein?
Malte Biss: Der Seedmatch Crowd Award gibt unserer Botschaft und unserer Mission weiteren Rückenwind. Dass der Seedmatch Crowd Award an Flustix ging, bestätigt, dass im Bereich Plastiknachhaltigkeit gerade sehr viel passiert, die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein wachsen und dass das System eine Win-Win-Situation darstellt. Flustix ist nämlich aus der Wirtschaft für die Wirtschaft entstanden.
Seedmatch: Malte, du hast jahrelang für die „BILD“-Gruppe gearbeitet und warst als Gesellschaftsreporter in der Welt unterwegs – ein Beruf, den man nicht sofort mit Umweltschutz in Verbindung bringt. Wie wird man vom Journalisten zum Umweltaktivisten – oder ist das vielleicht gar nicht so abwegig?
Malte Biss: Das ist sicherlich nicht der klassische Werdegang. Gerade da ich aber so intensiv mit vielen Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen und Bevölkerungsschichten zu tun hatte, wurde mir immer klarer, dass ein Thema alle beschäftigt: Die Zukunft unseres Planeten. Das habe ich früh erkennen können, als ich für verschiedene Charity-Aktionen in den unterschiedlichsten Ländern dieser Erde unterwegs war. Hieraus entstand mein persönlicher Wunsch, aktiv etwas zu bewirken. Insofern war und ist mein Schritt gar nicht so abwegig und meine Vergangenheit mit dem Netzwerk hilft mir sehr. Mit Flustix habe ich meinen Weg gefunden.
Seedmatch: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage an dich, Malte: Du hast drei Kinder – inwieweit schafft ihr es privat, plastikfrei zu leben, und was gibst du unseren Leserinnen und Lesern mit, um Nachhaltigkeit besser in den Alltag zu integrieren?
Malte Biss: Vollständig plastikfrei zu leben, schaffen wir leider auch noch nicht. Dafür gibt es noch zu wenige Produkte, die wirklich eine plastikfreie Alternative bieten. Genau wie 71 Prozent der Deutschen versuchen wir, aktiv beim Einkauf Plastik zu vermeiden. Mein Tipp ist, dass sich jeder beim Einkaufen der eigenen Verantwortung und Auswirkung seines Warenkorbes bewusst sein sollte. Man selbst kann Produkt für Produkt den eigenen Einkauf auf plastikfreie Alternativen umstellen. Das hat eine stärkere Wirkung als die meisten denken. Dazu kommt, dass eine funktionierende Mülltrennung von jedem Einzelnen abhängt. Auch hier bin ich mit der Familie sehr aktiv. Im Übrigen haben meine drei Kinder eine sehr hohe Affinität zu dem Thema und ermahnen uns Eltern auch gerne mal im Alltag zum Thema Umweltschutz.
Seedmatch: Vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast. Wir freuen uns, euch beim eintägigen Workshop mit uns – eurem Crowd-Award-Gewinn – wiederzusehen.
Malte Biss: Vielen Dank für das tolle Gespräch und dafür, dass ihr uns auf dem Schirm habt.