Mittlerweile hat es sich herumgesprochen: Zu langes Sitzen ist ungesund. Wer sich gesund halten und Rückenschmerzen vorbeugen möchte, variiert seine Sitzposition, weicht auf Stehtische aus und setzt auf möglichst viel Bewegung. Es gibt jedoch eine Gruppe von Menschen, die besonders viel sitzen muss und dennoch beim Boom ergonomischer Sitzmöglichkeiten in den letzten Jahren in Vergessenheit geriet: Rollstuhlfahrer. Unser Startup DESINO hat mit dem dynamischen Sitzen auch für Rollstuhlfahrer, das sich an der menschlichen Fortbewegung orientiert, eine dringend benötigte Lösung für Rücken- und Gelenkprobleme gefunden und begeisterte damit bereits 2017 die Seedmatch-Crowd. Nun, ein Jahr später, stellt sich DESINO erneut unseren Investoren. Wir sprachen vorab mit Roman Pagano, Thyl Junker und Daniel Levedag (v. l. n. r.) darüber, was sich im letzten Jahr bei ihnen getan hat, welche neuen Zielgruppen und Projekte sie anvisieren und wie die Seedmatch-Crowd sie dabei unterstützen kann.
Seedmatch: Hallo und herzlich willkommen zurück! Man könnte auch sagen: Das ging ja schnell. Warum habt ihr euch bereits ein Jahr nach eurem erfolgreichen ersten Crowdfunding für eine zweite Kampagne bei Seedmatch entschieden?
Daniel Levedag: Unser Vertrieb ist sehr schnell und erfolgreich angelaufen. Der Markt reagiert sehr positiv auf unser Produkt. Eine Herausforderung für uns sind jedoch noch die oft sehr langwierigen Prozesse seitens der Krankenkassen, bis diese Anträge auf unsere Produkte bewilligen. Aktuell befinden sich über 500.000 Euro im Erstattungsprozess. Das ist natürlich Geld, das uns kurzfristig fehlt.
Wir sind uns jedoch sicher, dass wir über Schulungen und eine aktive Kommunikation mit den Kassen darauf hinwirken können, diese Prozesse zu beschleunigen. Mittlerweile haben wir uns zudem einen guten Ruf in der Branche erarbeitet und mit jedem Kostenvoranschlag, der den Sachbearbeitern vorliegt, wächst das Interesse an unseren Produkten. Dieses Jahr zum Beispiel hatten wir wieder Sachbearbeiter der Kassen, die konkret nach unseren Produkten gesucht haben, zu Besuch an unserem Messestand. Wir konnten außerdem bereits die ersten Schulungen inhouse bei Krankenkassen halten. Hier braucht man einfach einen langen Atem. Sobald man die Kassen letztendlich überzeugt hat, lohnt es sich aber so richtig und dafür legen wir uns ins Zeug.
Thyl Junker: Dass wir die Kassen in Deutschland überzeugen, hat natürlich absolute Priorität für uns. Man darf darüber aber auch nicht vergessen, dass es in anderen Ländern ebenfalls noch sehr viele Rollstuhlfahrer gibt, die bisher ungesund sitzen. Wir sind uns sicher, dass hier ein riesiges Potential schlummert, das wir als Gründer natürlich mittelfristig ausschöpfen wollen.
Seedmatch: Was hat sich seit der ersten Kampagne bei euch getan – und welche Rolle spielte die Unterstützung der Crowd dabei?
Daniel Levedag: Wir haben in erster Linie einen erfolgreichen Vertrieb aufgebaut. Ohne das Geld der Crowd hätten wir unseren Top-Vertriebler Michael Dettki, der über jahrzehntelange Branchenerfahrung verfügt, definitiv nicht einstellen können. Seine Kontakte und die kontinuierliche Bearbeitung der Sanitätshäuser haben unser Umsatzwachstum von 300 Prozent überhaupt erst möglich gemacht.
Thyl Junker: Sehr geholfen haben uns auch die zahlreichen Kontakte, die wir über die Crowd und die letzte Kampagne bekommen haben. Zum einen sind das Rollstuhlfahrer und Therapeuten, die sich für unsere Produkte interessieren, zum anderen entstanden so aber auch Kontakte für den Vertrieb, bis hin zu Distributoren im europäischen Ausland.
Seedmatch: Dynamisches Sitzen zur Vorbeugung von Rückenschmerzen hat seit einigen Jahren viel Beachtung erfahren – wer als Unternehmen etwas auf sich hält, versorgt seine Mitarbeiter mit ergonomischen Bürostühlen, Hockern, Sitzbällen und höhenverstellbaren Schreibtischen. Eine Gruppe von Menschen, die besonders viel sitzt, hatte die Gesundheitsindustrie jedoch bisher kaum im Blick: Rollstuhlfahrer. Wie erklärt ihr euch, dass diese Zielgruppe schlichtweg “vergessen” wurde?
Thyl Junker: Bei der Versorgung mit Hilfsmitteln wurde lange Zeit allein auf technische Funktionalität geachtet. Es ging zunächst einmal nur um die Fortbewegung, dann um körpergerechte Anpassung und erst in letzter Zeit auch um weitere Elemente, bei denen das gesamte Wohlbefinden der Rollstuhlfahrer berücksichtigt wird. Negative Auswirkungen, wie Rückenbeschwerden und Schäden in den Schulter- und Handgelenken, wurden lange als notwendiges Übel hingenommen.
Es gibt zum Glück Veränderungen bei der Entwicklung von Rollstühlen, es passiert etwas und auch die Erwartungen der Rollstuhlfahrer an die Produkte steigen dementsprechend. Wir sind stolz, Teil dieser Entwicklung zu sein und sind froh darüber, dass Rollstuhlfahrer nun von neuester Technologie profitieren können.
Seedmatch: Für die Entwicklung der DESINO-Rollstühle habt ihr euch die Natur zum Vorbild genommen und euch zum Ziel gesetzt, den evolutionär perfektionierten menschlichen Gang auf die Fortbewegung im Rollstuhl zu übertragen. Wie wirken eure Rollstühle genau und welche Vorteile bieten sie gegenüber herkömmlichen Produkten anderer Anbieter?
Thyl Junker: Die Bewegungen, die wir beim Gehen und Laufen vollziehen, wirken sich vorteilhaft auf die Wirbelsäule aus, da die Bandscheiben nur durch Bewegung mit Flüssigkeit versorgt werden. Für Rollstuhlfahrer ergeben sich zudem, je nach Krankheitsbild, ganz spezifische Vorteile. Zum Beispiel fördert die Bewegung des Beckenbodens und des gesamten Oberkörpers die Verdauung, darüber freuen sich viele unserer Kunden sehr. Die Verlagerung der Druckpunkte auf dem Sitz durch die Hin- und Herbewegung kann dabei helfen, Druckgeschwüre zu vermeiden und damit schweren Erkrankungen wie Dekubitus vorbeugen. Des Weiteren können Rollstuhlfahrer, insbesondere im Zusammenspiel mit den Hebeln, ihre Muskeln und auch Nervenbahnen auf eine Weise trainieren, die mit anderen Rollstühlen nicht möglich ist.
Daniel Levedag: Ein weiterer Vorteil ist, dass Rollstuhlfahrer in unseren Stühlen komplett aufrecht sitzen. Rollstühle, die über Greifreifen angetrieben werden, zwingen Rollstuhlfahrer hingegen dazu, diese aufrechte Haltung mit jedem Schub aufzugeben.
Seedmatch: Seid ihr die ersten, die Produkte anbieten, die auch Rollstuhlfahrern das dynamische Sitzen ermöglichen? Immerhin nennt ihr ja mittlerweile zahlreiche Patente euer Eigen…
Thyl Junker: Wir sind sowohl deutschlandweit als auch international der erste Hersteller, der Rollstuhlfahrern dynamisches Sitzen anbietet. Auch der spezielle Hebelantrieb mit gegenläufigen Hebeln und Gangschaltung ist einzigartig. Neben diesen Innovationen haben wir nun auch neue Entwicklungen, wie das moveo-Sitzsystem für Greifreifenrollstühle, für das internationale Patent angemeldet. Unser System stößt auf so viel Interesse, dass wir von anderen Rollstuhlherstellern bereits Anfragen für Kooperationen erhalten.
Seedmatch: Wären eure Rollstühle denn für jeden, der bisher ein gängiges Rollstuhlmodell nutzt, interessant? Gehören also alle 1,5 Millionen Rollstuhlfahrer in Deutschland potenziell zu eurer Zielgruppe?
Thyl Junker: Prinzipiell gehört jeder Rollstuhlfahrer, der sich aus eigener Kraft fortbewegen kann, zu unserer Zielgruppe. Momentan bieten wir unsere Innovation im Bereich Aktivrollstühle an, also für Menschen, die den Rollstuhl langfristig nutzen. In Zukunft werden wir Systeme für weitere Produktbereiche entwickeln, um irgendwann allen Rollstuhlfahrern dynamisches Sitzen zu ermöglichen.
Seedmatch: Wie schafft ihr es, eure Rollstühle in der Produktion auf die unterschiedlichen Krankheitsbilder anzupassen?
Roman Pagano: Dass der Rollstuhl für jeden Kunden perfekt eingestellt sein muss, ist uns schon früh klar geworden. Daher sind genug Einstellmöglichkeiten an unseren Rollis vorhanden, um 95 Prozent aller Kundenwünsche leicht umzusetzen. Hier hilft uns besonders unser Baukastensystem, so dass viele Komponenten von Beginn an zusammenpassen; ähnlich einem Auto, bei dem man sich verschiedene Konfigurationen zusammenstellen kann. So haben wir ausreichende Flexibilität, um die Anpassungen in der Produktion mit einfließen zu lassen. Extrem wichtig bei der Anpassung ist zudem die Vorarbeit des Vertriebs, der uns dann in der Produktion mit den entsprechenden Informationen versorgt. Daher findet vor Produktionsbeginn immer eine enge Absprache mit unseren Vertrieblern statt.
Seedmatch: Seit der letzten Kampagne habt ihr euch im Vertrieb deutlich verstärkt. Welche Erfolge konntet ihr so bereits bei Krankenkassen, Sanitätshäusern & Co. erzielen und was sind die nächsten Schritte?
Daniel Levedag: Unser größter Erfolg ist mit Sicherheit, dass wir unseren Umsatz verdreifachen konnten. Natürlich ist das nur das Ergebnis einer besseren Zusammenarbeit mit Sanitätshäusern und Krankenkassen. Seit der letzten Kampagne wurden somit über 50 Sanitätshäuser und circa 10 Kliniken geschult. Diese bringen jedesmal wieder ihren eigenen Kundenstamm und somit potenzielle Endkunden für Erprobungen mit. Auch die Anzahl an Krankenkassen, die die Kosten für unsere Produkte übernimmt, hat sich drastisch erhöht. Hier gilt es nun noch, den Prozess beschleunigen und die Bekanntheit unserer Produkte bei den Sachbearbeitern zu steigern.
Was uns dieses Jahr auch wieder extrem aufgefallen ist, ist wie ernst uns die anderen Hersteller auf der Messe Rehacare genommen haben. Das war jetzt auch schon unser vierter Auftritt und wir sind nun wirklich auf dem Markt der Rehabilitationsmittel angekommen. Man lernt eben über die Jahre viel dazu. Auch unsere Produkte haben sich über die Zeit über kleine Weiterentwicklungen immer mehr an die Kunden angepasst. Mittlerweile haben wir schon für fast jeden Rollstuhlbedarf ein Produkt im Portfolio.
Seedmatch: Euer Rollstuhl sinus hat Anfang 2018 eine sogenannte Hilfsmittelnummer erhalten. Was bedeutet das genau und welche Vorteile ergeben sich daraus?
Roman Pagano: Der GKV, also der Spitzenverband der Krankenkassen, hat ein Hilfsmittelverzeichnis (HMV) erstellt, in dem verschiedene Produkte gelistet sind. Produkte, die auf dieser Liste stehen, werden von den Krankenkassen schneller erstattet. Um ein Produkt listen zu lassen, müssen Nachweise beispielsweise über die Qualität oder den medizinischen Nutzen erbracht werden. Der GKV beurteilt dann, ob alle Anforderungen ausreichend erfüllt sind und vergibt eine entsprechende Hilfsmittelnummer in einer geeigneten Kategorie.
Der sinus ist das ideale Produkt aus unserem Portfolio für eine Hilfsmittelnummer, da er in der Basis-Variante am nächsten an Mitbewerberprodukte liegt und entsprechende Kategorien bereits vorhanden sind. Für den radius und den medius sind im HMV derzeit leider noch keine passenden Kategorien vorhanden, was sich jedoch in Zukunft ändern kann, da das HMV umgeschrieben wird.
Seedmatch: Welche Reaktionen von Rollstuhlfahrern auf eure Produkte haben euch im letzten Jahr erreicht und haben sich dadurch vielleicht sogar Ideen für Weiterentwicklungen der Produkte ergeben?
Thyl Junker: Wir haben sehr positive Rückmeldungen von Rollstuhlfahrern bekommen, die unsere Rollstühle auch bereits über einen längeren Zeitraum nutzen. Begeistert hat uns vor allem die Geschichte einer Kundin, die auch dank unseres Rollstuhls riesige Fortschritte in ihrer Genesung gemacht und die Schädigung ihres Rückenmarks erfolgreich bekämpft hat. In diesem Fall haben sich durch die positive Entwicklung auch neue Anforderungen an den Rollstuhl ergeben, daher haben wir die Kundin nun mit einer Kombination aus einem DESINO-Rollstuhl mit einem Vorspannrad versorgt, mit der die Kundin ihre Beine zum Antrieb einsetzen kann.
Was die Weiterentwicklung betrifft, bekommen wir viele Vorschläge zu neuen Produkten und Optimierungen. Oft entstehen daraus neue Ideen und Produkterweiterungen. Im Sonderbau entwickeln wir in Zusammenarbeit mit den Rollstuhlfahrern, Therapeuten und Sanitätshäusern individuelle Lösungen, wie spezielle Griffe, Fußbretter, Halterungen etc.
Seedmatch: Neben der Entwicklung und dem Vertrieb eurer drei Rollstuhl-Modelle plant ihr auch, zusätzliche Zielgruppen und Geschäftsfelder zu erschließen. Anvisiert sind u. a. Rollstuhlzubehör sowie die Zusammenarbeit mit Herstellern von Kinderrollstühlen. Wie weit sind diese Projekte bereits fortgeschritten?
Thyl Junker: Wir arbeiten bereits jetzt mit Herstellern von innovativem Rollstuhlzubehör zusammen und können unseren Kunden so die beste Ausstattung anbieten. Außerdem wurden wir immer wieder nach dynamischen Sitzen für Kinderrollstühle gefragt. Als nächsten Schritt in diese Richtung haben wir nun die gemeinsame Entwicklung von dynamischen Kinderrollstühlen mit einem Kooperationpartner angestoßen.
Seedmatch: Wofür möchtet ihr das neuerliche Crowdfunding-Kapital genau einsetzen?
Daniel Levedag: Die Entwicklung unserer Produkte ist abgeschlossen. Nun werden wir den ersten Schritt in Richtung Erstausstatter gehen. Hierzu haben wir im Dezember unser erstes Gespräch mit einem Hersteller für Kinderrollstühle. Natürlich werden in diesem Zusammenhang Kosten auf uns zukommen. Die Lösung, die wir hier finden, wird allerding auch auf die Stühle der Konkurrenz anwendbar sein. Hier entsteht für uns ein sehr lukrativer Markt. Auf der anderen Seite brauchen wir einfach das Kapital, um die Kommunikation in Richtung der Krankenkassen zu intensivieren. Wenn wir hier schnell Fortschritte machen, steht unserem Erfolg nichts mehr im Wege.
Seedmatch: Könnt ihr für unsere Leser zum Abschluss bitte noch einmal zusammenfassen, warum es sich lohnt – gegebenenfalls sogar ein zweites Mal – in DESINO zu investieren?
Thyl Junker: Als ich mich damals das erste Mal mit der Idee des dynamischen Sitzens für Rollstuhlfahrer auseinandergesetzt habe, war ich mir sicher, dass in absehbarer Zeit jeder Rollstuhlfahrer davon profitieren wollen wird. Statisches Sitzen ist nunmal ungesund und Rollstuhlfahrer sitzen den ganzen Tag. Man wird in Zukunft nicht um unsere Produkte herumkommen und dann sind wir weltweit der Vorreiter für dynamisches Sitzen. Klar braucht man am Anfang immer Zeit, vor allem, wenn es darum geht, ein Umdenken zu bewirken. Aber wir haben in Deutschland bereits große Erfolge erzielt und wenn wir nicht so davon überzeugt wären, dass sich das dynamische Sitzen zum weltweiten Standard entwickelt, hätten wir die letzten Jahre nicht so viel Zeit und Energie investiert. Ein Investment in die DESINO bedeutet ein Investment in eine gute Sache, das sich in absehbarer Zeit als sehr lukrativ herausstellen wird.
Seedmatch: Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit für das Interview genommen habt. Wir wünschen euch, dass eure Kampagne dynamisch anrollt!
Daniel Levedag: Vielen Dank! Wir sind uns sicher: Das wird sie. Liebe Crowd, gebt uns den letzten Push!
12. Oktober 2022
Leider kann ich seit 2028 keine Infos über den geschäftlichen Fortgang des Unternehmens finden. Helfen Sie mir weiter, bitte. MfG Rolf Weitowitz
13. Oktober 2022
Hallo Herr Weitowitz,
vielen Dank für Ihre Frage zu DESINO. Leider musste das Unternehmen im Frühjahr dieses Jahres Insolvenz anmelden. Weitere Informationen dazu finden Sie als DESINO-Investor im Investor-Relations-Bereich auf der Fundingseite: https://www.seedmatch.de/investmentchancen/desino
Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich auch gern per E-Mail an unsere Investorenbetreuung: investor@onecrowd.de
Viele Grüße,
Kirsten Petzold